Warum die Guten flüchten

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Exzellente Arbeitsbedingungen und niedrige Steuern locken Hochqualifizierte in die Schweiz. Experten über den Braindrain.

Wien. Wer gut ist, geht weg: Mit einem Braindrain kämpfen nicht nur arme Länder – sondern auch reiche wie Österreich. Von rund 20.000 Österreichern, die ihrer Heimat jedes Jahr den Rücken kehren, haben Schätzungen zufolge 68 Prozent zumindest Matura oder gar einen Hochschulabschluss. Aber woran liegt das? Schließlich wird Wien regelmäßig attestiert, eine der lebenswertesten Städte der Welt zu sein. Und was machen andere Länder – etwa die Schweiz – besser? Christian Keuschnigg, Leiter des Wiener Instituts für Höhere Studien (IHS) und Professor an der renommierten Schweizer Universität St. Gallen, nennt die bessere Ausstattung und das höhere Gehalt als Grund, warum der Schweizer Hochschulsektor wesentlich interessanter für Hochqualifizierte sei als der österreichische. „Hier werden Spitzenforscher zugekauft, das macht die Universitäten attraktiv“, sagte Keuschnigg am Mittwochabend auf einer Podiumsdiskussion der Schweizer Botschaft und der Denkfabrik Agenda Austria.

Ähnlich sieht das der gebürtige Deutsche Gerd Folkers, der als junger Wissenschaftler in die Schweiz ging und heute Präsident des Collegium Helveticum ist. „Die Arbeitsbedingungen sind entscheidend. Ich bekam damals ein unglaubliches Maß an Selbstverantwortung überreicht, einen großen Vertrauensvorschuss.“ Dass Österreich nicht der attraktivste Ort für Hochqualifizierte aus aller Welt ist, ist ein altes, ungelöstes Problem – daran hat bislang auch die 2011 eingeführte Rot-Weiß-Rot-Karte nichts geändert. Das liegt laut Franz Schellhorn, Direktor der Agenda Austria, auch daran, dass Österreich zu wenig um die besten Köpfe werbe. „Das offizielle Österreich will keine Hochqualifizierten.“ Aber auch an der hohen Steuer- und Abgabenquote in Österreich – fast die Hälfte ihres Einkommens müssen die Bürger hierzulande beim Fiskus abliefern. So viel wie in kaum einem anderen Land der Welt.

„Jene, die eine international verwertbare Ausbildung haben, gehen weg. Und das ist verständlich“, sagt Schellhorn. Diese jungen Menschen wüssten um die demografische Schieflage in Österreich und müssten zusehen, wie wichtige Reformen, etwa im Pensionssystem, immer nur verschoben würden. Der Widerwille, mit ihren Einkommen dieses System zu finanzieren, treibe sie in Länder, in denen es noch möglich sei, sich mit Arbeit ein bescheidenes Vermögen aufzubauen – etwa in die Schweiz. „Wir müssen den Menschen die Möglichkeit geben, nicht nur für das System zu arbeiten, sondern auch für sich“, so Schellhorn. (hie)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2014)

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