Der Kampf der Kulturen

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Der US-Konzern Amazon steht in Deutschland seit Jahren wegen seiner Ablehnung der Gewerkschaft in der Kritik. Ähnlich heftige Kritik ergießt sich nun über den deutschen Autohersteller VW in den USA.

Es war eine ungewöhnliche Nachricht, die vor einigen Tagen das Hauptquartier des deutschen Automobilkonzerns VW in Wolfsburg erreichte. Das Unternehmen wird geklagt. Von drei seiner Mitarbeiter. Bis dahin ist diese Nachricht noch nicht sonderlich außergewöhnlich, möchte man meinen. Bei etwa 570.000 Mitarbeitern, die weltweit für den Konzern Autos herstellen oder verkaufen, kann es immer ein paar Beschäftigte geben, die sich ungerecht behandelt oder in ihren Rechten verletzt fühlen. Häufig beschreiten diese dann mit der Unterstützung einer lokalen Gewerkschaft den Klagsweg.

Nicht so in diesem Fall. Die Mitarbeiter wollen VW nämlich nicht wegen einer zu geringen Mitbestimmung der Mitarbeiter oder einer Missachtung von Arbeitnehmerrechten vor Gericht sehen. Im Gegenteil: Sie klagen VW, weil der Konzern in ihren Augen zu eng mit der US-Automobilgewerkschaft UAW zusammengearbeitet hat. Es ist dies die jüngste Eskalation in einem monatelangen Konflikt rund um die Einführung eines Betriebsrates im VW-Werk in Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee.

Begonnen hatte alles im Juni des Vorjahres. Damals schaltete sich der mächtige Konzernbetriebsrat der Wolfsburger in die bereits schwelende politische Diskussion in Chattanooga ein: Ohne lokalen Betriebsrat werde man im Aufsichtsrat einen Ausbau der dortigen Produktion blockieren. Beim Management von VW traf der Wunsch auf offene Ohren. Volkswagen hat eine lange Tradition an enger Zusammenarbeit zwischen Unternehmensführung und Betriebsrat. Manchmal ist diese Zusammenarbeit auch zu eng, wie der Skandal um konzernfinanzierte Lustreisen für die Betriebsräte vor rund zehn Jahren zeigte. Grundsätzlich sei die enge Kooperation aber zum Vorteil beider Seiten, heißt es bei VW-Chef Martin Winterkorn und dem mächtigen Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch unisono.

Mit diesen Voraussetzungen sollte der Einführung eines Betriebsrates eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Nicht so in diesem Fall. Das betreffende Werk steht nämlich in Tennessee, einem der Kernländer der republikanischen Südstaaten der USA, wo man Arbeitnehmervertretungen grundsätzlich skeptisch gegenübersteht. Und da die US-Gesetze verlangen, dass hinter einem Betriebsrat auch eine Gewerkschaft stehen muss, war die Front der lokalen Ablehnung noch größer.

Die einzige infrage kommende Gewerkschaft war nämlich die mächtige UAW, die in der Vergangenheit für ihre Mitglieder in der – im Norden gelegenen – US-Automobilhochburg Detroit hohe Löhne und Firmenpensionen durchsetzen konnte. Zahlungsverpflichtungen, die in der Krise der Autoindustrie für GM, Ford und Chrysler zu einem gewichtigen Problem wurden. Neue Werke werden – wenn nicht gleich jenseits der Grenze in Mexiko – daher seit Jahren fast nur mehr im Süden errichtet, wo die Löhne niedriger sind und der gewerkschaftliche Organisationsgrad geringer ist. Vor allem ausländische Konzerne wie Toyota, VW, Mercedes oder BMW siedelten sich in South Carolina, Texas oder eben Tennessee an und brachten dem Süden einen willkommenen Industrialisierungsschub.

In Tennessee sorgte man sich daher um diesen Standortvorteil und warnte bereits vor einem „Dominoeffekt“. Würde die UAW ihren Fuß in das erste Werk im Süden gesetzt haben, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis auch in den anderen Fabriken gewerkschaftliche Strukturen Einzug finden würden. Befeuert wurde diese im Herbst stetig wachsende Ablehnungsfront von konservativen Organisationen wie dem Center for Worker Freedom oder der National Right to Work Legal Defense Foundation, aber auch von lokalen Politikern und Zeitungskommentatoren.

Kein Vergleich mit der Situation, die sich parallel dazu in Deutschland bietet. Hier stand während des Weihnachtsgeschäfts einmal mehr der US-Konzern Amazon im Mittelpunkt der der Kritik. Konkret ging es um die Forderung der Gewerkschaft Verdi, den Mitarbeitern Tariflöhne zu bezahlen. Ein Ansinnen, das von Amazon abgelehnt wird. Verdi sei für das Unternehmen auch kein Verhandlungspartner, heißt es bei Amazon regelmäßig.

In der öffentlichen Diskussion waren die Rollen in diesem Konflikt klar verteilt. Der US-Konzern, der schon in den Jahren zuvor nur langsam Betriebsräte in seinen deutschen Standorten eingeführt hatte, wurde nicht nur wegen der Löhne, sondern auch wegen der Arbeitsbedingungen in Zeitungsreportagen und TV-Berichten regelmäßig als Bösewicht abgestempelt. Und auch die Politik schaltete sich in den Konflikt ein – aufseiten der Arbeitnehmervertreter: So meinte selbst die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, im November, dass auch im Internethandel so viele Beschäftige wie möglich nach dem Tarifvertrag bezahlt werden sollten.


Die Abstimmung. Anders die öffentlichen Kommentare der Politik in Tennessee. Dort sorgte der republikanische Senator von Tennessee und vorherige Bürgermeister von Chattanooga, Bob Corker, im heurigen Februar für Aufregung, als es schließlich zu einer Abstimmung über einen Betriebsrat kam. Seiner Meinung nach werde „VW es mit dem Zuschlag eines neuen Modells honorieren, wenn die Mitarbeiter den Betriebsrat ablehnen“.

Mitte Februar wurden die VW-Mitarbeiter schlussendlich in einer geheimen Abstimmung zu den Urnen gerufen. Das Ergebnis sorgte bei der UAW und den Arbeitnehmervertretern im fernen Wolfsburg für einen Schock: Mit 712 zu 626 Stimmen votierten die Arbeiter gegen die Einführung des Betriebsrates.

Doch vorbei ist dieser Kampf der Kulturen noch immer nicht. VW-Chef Winterkorn meinte Anfang März, dass langfristig die Mitbestimmung der Mitarbeiter in allen VW-Werken weltweit gegeben sein sollte. Und die UAW will die Abstimmung wiederholen lassen, weil es zu viel Beeinflussung durch konservative Kräfte gegeben habe. Das wollen wiederum die drei Arbeiter nicht auf sich sitzen lassen. Sie kritisieren, dass VW Vertreter der UAW überhaupt auf das Firmengelände gelassen hat, um Stimmung für sich zu machen. Das wäre unzulässige Beeinflussung gewesen. Die Entscheidung über diese Fragen liegt nun bei den Gerichten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2014)

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