Russlands Wirtschaft sei aufgrund der Krim-Krise bereits in eine Rezession geschlittert, meinen Ökonomen. Das größte Risiko aber verursache Putin selbst, indem er den Wohlstand seiner Umgebung gefährde.
Wien. Während Kreml-Chef Wladimir Putin auf der annektierten Krim vollendete Fakten schafft, rechnen Ökonomen allmählich die Folgen des geopolitischen Unterfangens und der westlichen Sanktionen für die russische Wirtschaft hoch. Mit großer Wahrscheinlichkeit sei diese schon in eine Rezession übergegangen, geht aus dem BIP-Indikator der russischen Investmentbank Renaissance Capital und der Moskauer Russian Economic School hervor. Den Daten zufolge wird die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt im zweiten Quartal um ein Prozent gegenüber 2013 schrumpfen, für das gesamte erste Halbjahr ergibt das minus 0,6 Prozent.
Kein Wachstum mehr für dieses Jahr sagt die Bank VTB Capital voraus. Optimistische Prognosen anderer Banken liegen alle unter einem Prozent, schreibt die Zeitung „Wedomosti“. Sollte der Westen die Sanktionen verschärfen, schrumpft Russlands BIP um ein Prozent, meint Morgan Stanley.
Geld wird zurückgehalten
Russlands Wirtschaft hat schon vor Beginn der Krim-Krise geschwächelt. 2013 war sie nur noch um 1,3 Prozent gewachsen. Recht einhellig gehen Ökonomen nun davon aus, dass sich die Privatwirtschaft aufgrund der Unsicherheit mit Investitionen zurückhalten wird, was auch den Konsum zum Stagnieren bringt. Bemerkenswert, dass der Kapitalabfluss, der 2013 bei 63 Mrd. Dollar gelegen hatte, allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres 35 Mrd. Dollar betragen hat.
Nicht nur russische Unternehmer werden vorsichtig. Offenbar auch westliche. Die deutsche Zeitung „Die Welt“ berichtet davon, dass deutsche Firmen ihre in Russland angesammelten Gewinne allmählich nach Hause transferieren – Geld, das für Investitionen in Russland fehlt. Die Angst vor der Sanktionsspirale geht um. Allein in Deutschland sollen laut Ostausschuss der deutschen Wirtschaft 350.000 Arbeitsplätze am Handel mit Russland hängen.
Putin gefährdet die Seinen
Von österreichischen Firmen, die auch sehr verunsichert sind, ist vorerst nicht bekannt, dass sie Gelder aus Russland abziehen, erklärt der österreichische Außenhandelsdelegierte in Moskau, Dietmar Fellner, auf Anfrage. Wegen des schlechten Rubel-Kurses würde man sie sogar eher dort belassen.
Eindeutiger ist, dass die Firmen von Putins engsten Vertrauten, die auf der US-Sanktionsliste stehen, sehr wohl leiden. Es sei der schwierigste Moment seit Bestehen des Öltraders Gunvor, sagte sein Besitzer, Torbjörn Törnqvist, zu Reuters. Sein Partner Gennadi Timtschenko, Putins Intimus, hat in der Vorwoche seine Anteile an der weltweit viertgrößten Ölhandelsfirma verkauft, weil er auf der Sanktionsliste landete.
Für Putin selbst sei die Krim-Aktion sehr gefährlich, weil er das Eigentum seiner nächsten Umgebung gefährde, meint indes der russische Starökonom Sergej Guriev, der im Vorjahr als Rektor der Moskauer New Economic School vor den Attacken der Moskauer Behörden nach Paris flüchtete. „Es geht nicht darum, ob mir der Kampf um die Ukraine gefällt oder nicht“, schreibt Guriev: „Aber wenn jemand das Eigentum und die Freiheit sehr reicher und mächtiger Leute (...) gefährdet, dann wird er für diese zum Problem von Leben und Tod.“ (est)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2014)