Konjunktur: Deutsche Wirtschaft unter Dampf

Deutschland, Hamburg, Hafen
Deutschland, Hamburg, Hafen(c) BilderBox (bilderbox.com)
  • Drucken

Die Regierung erwartet 1,8 Prozent Wachstum heuer und 2,0 Prozent für 2015. Ein Wermutstropfen: Der Mindestlohn kostet laut führenden Ökonomen 200.000 Jobs.

Berlin. Sigmar Gabriel hat schon weit weniger angenehme öffentliche Auftritte erlebt. Zufrieden konnte der zum Wirtschaftsminister avancierte SPD-Chef am Dienstag verkünden, dass sich die deutsche Wirtschaft in einem „soliden Aufschwung“ befinde. Für heuer rechnet die Bundesregierung mit einem Wachstum von 1,8 Prozent, für das kommende Jahr mit 2,0 Prozent. Voriges Jahr waren es nur magere 0,4 Prozent.

Gabriels Weisheiten sind freilich nicht nur hausgemacht. Sein Ministerium folgt weitgehend den Berechnungen von fünf führenden Forschungsinstituten. Der wichtigste Unsicherheitsfaktor ist die Ukraine-Krise. Offizielle Prognosen gehen freilich schon aus Staatsräson nicht von einer Eskalation aus. Die Ökonomen haben aber das Szenario skizziert, dass die russische Wirtschaft um vier Prozent einbricht – als Folge scharfer Sanktionen, vor denen die Bundesregierung, wie Gabriel betont, „keine Angst hat“. In diesem Fall fiele das deutsche Wachstum um 0,1 bis 0,3 Prozentpunkte niedriger aus. Dabei nehmen die Ökonomen aber an, dass Moskau weiter Öl und Gas liefert. Ihr Argument: Putin werde Deutschland nicht dazu treiben, sich notgedrungen unabhängiger von seinen Energielieferungen zu machen.

Das „Frühjahrsgutachten“ der fünf Institute zeigt neue Treiber für das deutsche Wachstum auf. Die Ausrüstungsinvestitionen in Maschinen und Fuhrpark sollen heuer um 5,6 und nächstes Jahr um 8,4 Prozent steigen. Sechs Quartale lang gingen sie zurück, weil den Unternehmen die Lage in der Eurozone zu unsicher war. Es gilt also viel nachzuholen. Erstmals seit 2011 gibt es nun mehr Bestellungen, als mit den vorhandenen Kapazitäten in normaler Lieferzeit zu produzieren sind. Zudem bleiben die Zinsen sehr tief. Das belebt, zusammen mit mehr Bewilligungen, auch die Bauinvestitionen (plus 4,3 Prozent).

Der zweite Motor des Wachstums ist, ungewöhnlich für Deutschland, der private Konsum. Die saftigen Lohnabschlüsse (plus 3,3 Prozent) liegen heuer deutlich über der niedrigen Inflation (1,3 Prozent). Die Kaufkraft steigt, was Gabriel besonders freut: „Das hatte lange merklich gefehlt.“

Etwas weniger wettbewerbsfähig

Die Kehrseite der Medaille: Die Wettbewerbsfähigkeit gerät in Gefahr. Die (nominalen) Lohnstückkosten steigen heuer um 1,4 Prozent, 2015 um zwei Prozent. Ein Indikator, der die Preisentwicklung mit jener von 37 Handelspartnern vergleicht, verschlechterte sich im Vorjahr um zwei Prozent und geht heuer um einen weiteren Prozentpunkt zurück. Das dämpft bereits leicht die Dynamik bei den Exporten. Dank der allmählichen Erholung in der Eurozone und der robusten Konjunktur in den USA sollen sie heuer dennoch um 5,9 Prozent wachsen. Aber, und auch das ist untypisch für Deutschland: Der Außenhandel liefert keinen Beitrag zum Wachstum, denn die Importe wachsen stärker als die Ausfuhren. Das liegt auch an den Investitionen: In den Maschinen steckt, auch wenn sie aus Deutschland stammen, meist ein hoher Anteil zugelieferter Importteile.

Ein dicker Wermutstropfen in der Prognose der Ökonomen: Der Mindestlohn, der am 1.Jänner 2015 starten soll, werde schon in seinem ersten Jahr 200.000 Stellen kosten – teils durch Kündigungen, teils dadurch, dass weniger Jobs geschaffen werden. Die Zahl der Arbeitslosen werde wegen der guten Konjunktur jedoch nur um 18.000 steigen, die Quote bei 6,7 Prozent stagnieren. Die Forscher geben zu, dass ihre Schätzung unsicher ist, weil jeder Vergleich mit Mindestlöhnen in anderen Ländern oder einzelnen Branchen hinkt. Im Schnitt zeigen die Studien leicht negative Effekte auf den Arbeitsmarkt. Da der deutsche Wert von 8,50 Euro pro Stunde aber bezogen auf den Durchschnittslohn sehr hoch ist, befürchten vier der fünf Institute auch stärkere Nachteile. Nur das Berliner DIW, das für das Gutachten mit dem österreichischen Wifo kooperiert, schließt sich dieser Prognose nicht an.

Gabriel wischt die Befürchtungen ganz vom Tisch: Er komme „zu einem völlig anderen Ergebnis“ – weil er jeden niedrigeren Lohn für Missbrauch hält, den der Staat durch aufstockende Sozialhilfe zu subventionieren hat. Man müsse die Jobs gegenrechnen, die heute bei jenen Unternehmen „vernichtet“ werden, die „faire“ Löhne zahlen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.