Neue Industrien für Finnen wichtiger als Arbeitskosten

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Hohe Profite sollen die Diskussion über die Lohnnebenkosten überflüssig machen. Das Wachstum der Spieleindustrie gilt als beispielhaft.

Die derzeit vieldiskutierten Lohnnebenkosten seien in vielen europäischen Ländern ein Problem, meint Valto Loikkanen, Unternehmensberater der Stadt Helsinki im Gespräch mit der APA. "In Finnland sehen wir das heute jedoch anders. Die Frage für die Unternehmer ist es nicht so sehr, die Kosten zu senken, sondern neue Geschäftsfelder zu finden", sagt Loikkanen. Er spricht damit die Situation Finnlands nach dem Ende von Nokia als beinahe allmächtiger Wirtschaftsmotor des Landes und den damit verbundenen Veränderungen an.

"Nehmen Sie zum Beispiel die Spiele-Industrie", nennt Loikkanen eines der derzeit am liebsten hergezeigten Musterbeispiele. "Das Geschäft ist so profitabel, dass die Frage der Arbeitskosten für den Unternehmer irrelevant ist. Tatsächlich wuchs der Umsatz der elektronischen Spiele-Industrie Finnlands innerhalb von fünf Jahren (2008-2013) von 87 Mio. Euro auf 900 Mio. Euro. Der Gesamtwert der Branche (inklusive Investitionen, Lizenzen, und M&A) wird auf 2,2 Mrd. Euro geschätzt.

Ganzheitliche Betrachtung

Es gehe nach dem Abbau vieler Stellen bei Nokia und anderen darum, fähigen Arbeitskräften ein attraktives Lebensumfeld für die ganze Familie zu bieten und sie so im Land und in der Region zu halten. Dies gelte für alle Arten von Unternehmen. "Wir haben da eine ganzheitliche Betrachtungsweise", so Loikkanen. Zu unserer Strategie gehört es, Einwanderer auch als Unternehmer so rasch wie möglich zu integrieren".

In diesem Zusammenhang machten Loikkanen und seine Kollegen interessante und überraschende Erfahrungen: 30 Prozent unserer Kunden haben einen ausländischen Hintergrund. Bei den Unternehmern im gehobenen (Technologie- und Service-) Bereich sind es sogar rund die Hälfte", spricht er das auch in Finnland verbreitete Vorurteil an, Zuwanderer würden in erster Linie Kebab-Läden und Billig-Pizzerias betreiben.

Firmensprache Englisch

Loikkanen erklärt das Phänomen mit der höheren Risikobereitschaft von Zugezogenen. Im übrigen sei dieses Denkmodell keine finnische Erfindung, sondern entspräche jenem in den USA und Kanada. Eine Sprachbarriere gebe es auch in Finnland kaum, da selbst in den kleinsten Start-Ups Englisch - quasi per Voreinstellung Firmensprache sei: "Es reicht, wenn ein Mitarbeiter kein Finne ist". Auch hier herrsche die Einstellung, dass wohlintegrierte Ausländer als Zahler von Steuern - auch im Unternehmerbereich ein Vorteil für das ganze Land sei.

Die politische Waffenruhe bei den Lohnnebenkosten in Finnland muss jedoch nicht ewig dauern. Auch wenn derzeit "keine einzige Partei" (Loikkanen) davon spricht, könnte sich das angesichts des aktuellen Sparpakets der bereits bröckelnden Regenbogenkoalition von Noch-Regierungschef Jyrki Katainen bald wieder ändern. In einem Jahr stehen Parlamentswahlen an. Und es ist anzunehmen, dass die politische Diskussion sich über kurz oder lang nicht auf die derzeit zur Causa Prima gewordene Kürzung des Kindergeldes beschränken wird.

Hohe Überlebenschance

Die Stadt Helsinki berät im Rahmen des Instituts Yritys Helsinki sowohl neue als auch bestehende Unternehmen - großteils zum Nulltarif. Nach eigenen Angaben wurden bisher rund 10.000 Unternehmen im Großraum Helsinki mithilfe der städtischen Consulter gegründet. Die Überlebensrate von mindestens fünf Jahren von solcherart beratenen Firmen gibt die Stadt mit 80 Prozent an.

Lohnnebenkosten in Finnland

Ab einem Monatseinkommen von derzeit rund 56 Euro muss ein finnischer Unternehmer für seinen Angestellten Pensionsbeiträge in der Höhe von durchschnittlich 23,5 Prozent leisten. Der Dienstnehmeranteil beträgt bis zum 53. Lebensjahr 5,55 Prozent , darüber 7,05 Prozent.
Die Prämie für die Arbeitnehmer-Unfallversicherung beträgt für den Arbeitgeber je nach Gefährlichkeit der Arbeit zwischen 0,1 und 7,0 Prozent.
Weiters ist eine Gruppen-Lebensversicherung für Arbeitnehmer vorgesehen. Diese beträgt durchschnittlich 0,67 Prozent des Lohnes.

(APA)

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