Deutscher Mindestlohn steht unter Dauerbeschuss

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Arbeitsmarkt. Die Kritik am Mindestlohn reißt nicht ab. Nun beklagt der Normenkontrollrat, dass im Gesetzesentwurf die Abschätzung von Kosten und Folgen fehlt. Das Ziel, die Zahl der Aufstocker deutlich zu reduzieren, wird verfehlt.

Arbeitsmarkt. Die Kritik am Mindestlohn reißt nicht ab. Nun beklagt der Normenkontrollrat, dass im Gesetzesentwurf die Abschätzung von Kosten und Folgen fehlt. Das Ziel, die Zahl der Aufstocker deutlich zu reduzieren, wird verfehlt.

Berlin. Er war der Wahlkampfschlager der SPD: der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Der Wunsch dahinter ist populär: Jeder, der Vollzeit arbeitet, soll sich damit zumindest seinen Lebensunterhalt sichern können und nicht auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen sein. Wie ein unerwünschter Misston tönt da der warnende Ruf von Ökonomen, dass durch den Mindestlohn Preise steigen und Niedriglohnverdiener ihren Job verlieren werden - weil die Unternehmen die höheren Lohnkosten nicht einfach schlucken können.

Auf 16 Mrd. Euro vom Start weg schätzt sie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Solche Berechnungen fehlen im Gesetzesentwurf, den das Kabinett in Berlin eben erst beschlossen hat: Die finanziellen Auswirkungen seien „mit Unsicherheiten behaftet", eine „genaue Quantifizierung" nicht möglich. Mehr Kontrollen seien wohl nötig, das führe zu „höheren" Kosten in der Verwaltung - wie viel höher, bleibt unklar. Diese vagen Angaben kritisiert nun der Normenkontrollrat. Dieses Expertengremium soll für weniger Bürokratie und bessere Gesetze sorgen. Sein Fazit zum Mindestlohn: Den Abgeordneten im Bundestag fehle „durch die lückenhafte Darstellung der Kostenfolgen" eine „wichtige Entscheidungsgrundlage".

Unsichere Prognosen

Freilich gehen auch die Erwartungen der Ökonomen weit auseinander. Mit wie vielen zusätzlichen Arbeitslosen ist zu rechnen? Studien gibt es genug, aber die deutschen Pläne lassen sich kaum vergleichen. Im Inland gab es Mindestlöhne bisher nur für einzelne Branchen. So kann jemand, der seinen Job verliert, in eine andere, noch nicht regulierte Branche ausweichen. Erfahrungen aus dem Ausland helfen auch nur bedingt, weil die 8,50 Euro dem Durchschnittslohn viel näher liegen als Mindestlöhne in den meisten anderen Ländern - was die Gefahr erhöht.
Vor Kurzem wagten vier führende deutsche Institute eine gemeinsame Prognose: 200.000 Jobs gehen durch den Mindestlohn verloren oder werden gar nicht erst geschaffen. Die Sozialdemokraten ficht das wenig an. Sie trommeln weiter ihr Ziel: Es soll deutlich weniger „Aufstocker" geben, die von Hartz IV leben müssen, obwohl sie erwerbstätig sind - zumal die SPD dahinter breiten Missbrauch von Unternehmern vermutet, die sich unfaire Niedriglöhne vom Staat „sponsern" lassen. Doch der Mindestlohn verfehlt sein hehres Ziel.

Zu diesem Schluss kommt die Bundesagentur für Arbeit (BA). Schon Ende Jänner musste sie gestehen, dass sie die Zahl der Vollzeitaufstocker jahrelang überschätzt hat. Tatsächlich ist sie mit 218.000 um ein Drittel geringer als vermutet. Eine hauseigene Studie zeigt nun: Nur zwischen 43.000 und 64.000 berufstätige Hartz-IV-Bezieher schaffen durch den Mindestlohn den Sprung aus der Grundsicherung - maximal fünf Prozent aller 1,3 Mio. Aufstocker. Die meisten bleiben deutlich unter der Schwelle der Bedürftigkeit, weil sie Teilzeit arbeiten - 60 Prozent sogar weniger als 22 Stunden. Zudem wird der Mehrverdienst mit dem Arbeitslosengeld verrechnet. Im Schnitt verdienen Aufstocker so monatlich nur zehn bis zwölf Euro mehr.

Was wäre eine sinnvolle Alternative zu der vom Staat fixierten Lohnerhöhung? Darauf weist wiederum der Normenkontrollrat hin, dem solche Alternativen im Gesetzesentwurf fehlen: Die Politik könnte ja auch einen Mindestlohn festlegen, den eine „unabhängige Kommission" vorgeschlagen hat - eine Variante, die näher an der Tradition der Tarifverhandlungen von Sozialpartnern liegt. (gau)

("Die Presse", Printausgabe vom 18.4.2014)

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