Berlin: Zu billig für den großen Erfolg

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Seit Jahren heißt es, Berlin werde bald zum Silicon Valley Europas. Aber die großen Gelder und spektakulären Exits bleiben aus. Eine Studie zeigt auf, woran das liegt.

Berlin. Es macht Spaß, in Berlin zu leben. Vor allem jenen, die mehr verrückte Ideen im Kopf als Geld in der Tasche haben. Das Leben hier ist billig, auf- und anregend. Der ständige Wandel inspiriert und schafft Freiraum für Kreatives. Ein ideales Biotop für Künstler aus aller Welt ist Berlin schon lange. Aber wie fruchtbar ist der Boden für Unternehmensgründer?

Seit ein paar Jahren tönt es vielstimmig an der Spree: Die deutsche Kapitale werde bald das neue Silicon Valley, ein Paradies für Gründer! Tatsächlich sprießen immer mehr Start-ups aus dem Boden, vor allem Internetfirmen, die Apps programmieren oder im Onlinehandel ihr Glück versuchen.

Allein: Das große Geld bleibt aus. Die Szene wartet sehnsüchtig auf spektakuläre „Exits“, bei denen Gründer ihre Firma an etablierte Konzerne verkaufen und so reich werden. Eine Studie von McKinsey zeigt auf, warum der Ruf der Realität so weit voraus ist – und wie die Realität ihn einholen kann. Mit den richtigen Maßnahmen, von der Politik angestoßen, aber meist von Privaten finanziert, könnte Berlin bis 2020 zur wichtigsten Gründermetropole Europas werden.

Ein ehrgeiziges Ziel. Denn im globalen „Startup Genome“-Ranking liegt Berlin nur auf Platz 15. In Europa liegen Paris (Platz 11) und vor allem London (Platz 7) vorn. Amerikanische Metropolen dominieren, nur Tel Aviv hat sich bis auf den zweiten Platz vorgekämpft. An der Spitze thront, allen anderen weit voraus, das Silicon Valley.

Der Standort ist zu billig

Wie steht es wirklich um Berlin? Von 2007 bis 2011 sind über 3200 Unternehmen aus innovativen Branchen an den Start gegangen: Digitales, Biotech und „urbane Technologien“ rund um Recycling oder Mobilität. Aber die meisten Neugründungen bleiben klein. Ein Fünftel muss wieder liquidiert werden. Viele trocknen einfach aus, weil sie keine Investoren finden.

Woran liegt es? Paradoxerweise am größten Trumpf der Stadt: dass sie so billig ist. Für Büromieten zahlt man um zwei Drittel weniger als in London, für das tägliche Leben um ein Drittel. Damit fehlt es an Druck, erfolgreich zu sein. Die Gründer geben sich mit geringen Umsätzen zufrieden und sind meist wenig visionär. Das trifft sich mit der Risikoaversion der deutschen Anleger und Pensionsfonds.

Es fehlt also Geld. Nur 133 Mio. Euro haben Risikokapitalgeber 2012 in Berlin investiert. In der „Seed“-Phase am Anfang läuft es noch gut, weil hier der Staat mit Fördermitteln nachhilft. Bei den seltenen großen „Tickets“ schlagen US-Investoren zu – wie bei den 50Mio. Euro, die ein Venture Capitalist in die Musikplattform SoundCloud steckte. Aber bei mittleren Finanzierungsrunden zwischen drei und 15 Mio. klafft die Lücke. Sie müssten internationale Geldgeber füllen. Aber auch sie warten auf Exits, die durch alle Medien gehen.

Die Studienautoren nennen noch weit mehr, oft ganz handfeste Hemmnisse. So ist der Anteil der ausländischen Gründer mit 17 Prozent niedrig, ausgerechnet im kosmopolitischen Berlin. Der Grund ist die deutsche Bürokratie. Visa, Arbeitsgenehmigung, Firmenbuch, zahllose Formulare – wer da die Sprache nicht beherrscht, verirrt sich heillos im Behördendschungel.

Tel Aviv als Vorbild

Im euphemistischen Beratersprech „verbesserungsfähig“ und eine „Herausforderung“ ist auch die Anbindung an etablierte Unternehmen. Sie scheitert oft daran, dass Jungunternehmer „Ideenklau“ befürchten. An deutschen Unis waltet der Geist Humboldts, aber kaum Unternehmergeist. Professoren profilieren sich durch Publikationen, nicht dadurch, dass sie Studenten beim Sprung in die Selbstständigkeit helfen.

Daraus filtert McKinsey Empfehlungen: mehr Willkommenskultur, „One-Stop-Shops“ für rasche Gründungen, neue Anreize für Uni-Mitarbeiter. Ein Gründercampus im früheren Flughafen Tempelhof soll Start-ups, Konzerne und Kapitalgeber zusammenbringen. Darüber soll eine Delivery Unit die Zielerreichung überwachen. Die Berater stützen sich auf die Erfahrungen aus Tel Aviv, New York und East London. Sie haben gezeigt, dass die öffentliche Hand ein wirksamer Treiber sein kann.

Vielleicht ergeht es Berlin mit seinen Start-ups dann wie mit seinem neuen Flughafen BER: Auch dort dauert es verdammt lange, bis etwas abhebt. Aber irgendwann ist es wohl doch so weit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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