Baltikum: Erfolgreich von Russland abgenabelt

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Die drei baltischen Länder haben wie die Ukraine einst der Sowjetunion angehört. Längst zählen sie zu den dynamischsten und anpassungsfähigsten Volkswirtschaften Europas. Der EU-Beitritt hat sich ausgezahlt.

Stockholm. Auch in den baltischen Ländern ist die Angst verbreitet, Moskau könne dort mittelfristig über die russischen Minderheiten Druck ausüben– wie in der Ukraine. Wie die Ukraine waren Litauen, Lettland und Estland als Sowjetrepubliken völlig in die wirtschaftlichen Strukturen Moskaus eingebunden. Inzwischen haben sie die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland abgeschüttelt. Nach der Unabhängigkeit 1990 setzten sie mit ihren sehr jungen neoliberalen Eliten konsequent und radikal auf wirtschaftliche Westintegration.

Vor zehn Jahren, am 1. Mai 2004, traten sie der EU bei. Die baltischen Länder, mit zusammen lediglich 6,4 Millionen Einwohnern, waren damals die ärmsten unter allen östlichen Neumitgliedern. Doch die Aufholjagd war rasant. Zunächst erreichten sie Wachstumsraten von fünf Prozent und mehr. Dann kam der große Fall mit der Wirtschaftskrise. Das Sozialprodukt schrumpfte 2009 um 20 Prozent, etwa in Lettland. Statt die Währung abzuwerten, was kurzfristig einfacher und sozial verträglicher gewesen wäre, sparte sich das Land gesund. So wurden die Pensionen um zehn, die Löhne von Polizisten gar um 35 Prozent gesenkt.

Seit 2011 wächst die lettische Wirtschaft wieder mit durchschnittlich fünf Prozent im Jahr bei moderater Inflation. Im vergangenen Jahr waren es immerhin 4,1 Prozent. Ähnlich reagierten auch die anderen beiden Länder auf die Krise. Estland kam 2011 mit 9,6 Prozent Wachstum fulminant aus der Krise. Im vergangenen Jahr schrumpfte das Wachstum aber auf 0,8 Prozent. Litauen erreichte 2013 immerhin 3,3 Prozent.

Allerdings ist der soziale Preis hoch: In Estland beträgt die Arbeitslosigkeit 9,3 Prozent, in Litauen 10,9 Prozent und in Lettland sogar 11,5 Prozent.

Niedrige Steuersätze

Zu den Trümpfen der baltischen Staaten gehören die niedrigen Steuersätze. So liegt die lettische Unternehmenssteuer mit 15 Prozent weit unter dem EU-Durchschnitt von 23,5 Prozent. Nur Irland und Zypern liegen mit 12,5 Prozent noch niedriger. Aber auch die geringe Korruption, hohe Transparenz und die gut ausgebildeten Arbeitskräfte helfen.

Die zunächst massive Auswanderung vieler Balten ins englischsprachige Europa entlastete erst die Sozialkassen. Viele Auswanderer sind inzwischen zurückgekehrt und bringen Erfahrungen mit, die sie zu Firmenneugründungen und der Implementierung westlicher Unternehmenskultur nutzen.

Gerade Estland hat auch die Chance des Internets massiv genutzt. So können die Wähler hier längst vom heimischen Computer aus an Parlamentswahlen teilnehmen. Das Land lebt inzwischen größtenteils von der Elektronik- und Telekommunikationsbranche. In Lettland kommen 75 Prozent der Wertschöpfung aus dem Dienstleistungssektor, ein Fünftel kommt aus der Industrie. In Litauen ist die Verteilung ähnlich.

Die drei Länder integrieren sich dabei immer weiter in den Westen: Estland und Lettland haben bereits den Euro eingeführt, Litauen will im nächsten Jahr die EU-Währung übernehmen.

Die Achillesferse ist das belastete Verhältnis zu Russland. Die russischen Minderheiten, vor allem in Lettland und Estland stark, werden von den Einheimischen immer noch als die Erben der Besatzer angesehen. Zudem ist die Energieversorgung wie zu sowjetischen Zeiten auf Russland ausgerichtet. Von dort werden Erdöl, Erdgas und Kohle importiert.

Die von der EU erzwungene Abschaltung des Kernkraftwerks Ignalina in Litauen hat diese Abhängigkeit noch verstärkt. Nun baut Litauen einen Flüssiggashafen, um von der vollständigen Abhängigkeit von russischem Erdgas wegzukommen. In diesem Jahr sollen die ersten Lieferungen fließen.

AUF EINEN BLICK

Vor zehn Jahren traten Litauen, Lettland und Estland der EU bei. Seither erlebten die drei Länder sowohl einen rasanten Wirtschaftsaufschwung als auch harte Sparprogramme während der Krise. Doch auch in den baltischen Ländern ist die Angst verbreitet, Moskau könne mittelfristig über die russischen Minderheiten Druck ausüben – wie in der Ukraine. Vor allem die Abhängigkeit von russischem Erdgas stellt ein ökonomisches Problem dar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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