China ist der neue Wunschpartner

Gipfel. Das russische Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg steht im Zeichen der Ukraine-Krise.

St. Petersburg. Es ist lange her, dass Peter der Große die Stadt St.Petersburg aus dem Boden stampfen ließ. Als „Fenster nach Europa“ hat er sie konzipiert, damit Frischluft und europäisches Know-how in das damals schon größte Land der Welt kommen. 310 Jahre später droht sich das Fenster wieder sukzessive zu schließen.

Auf dem russischen Wirtschaftsforum, als „russisches Davos“ in Wladimir Putins Geburtsstadt positioniert, war die Stimmung am gestrigen Eröffnungstag mehr als gedämpft. Nichts ist mehr wie früher. Zwar sitzt das Who's who der russischen Konzerne da wie all die Jahre zuvor. Allein, die meisten westlichen Geschäftspartner fehlen wegen der Verwerfungen durch die Ukraine-Krise. Mehr noch als über die Absage der Amerikaner ist die russische Seite darüber irritiert, dass die Chefs der deutschen DAX-Konzerne nicht kamen. Schließlich ist Deutschland in den Augen der Russen der Tonangeber in Europa.

„Die Russen äußern uns gegenüber ihre Enttäuschung, dass sich gerade Deutschland dem Druck der Amerikaner beugt“, sagt Michael Harms, Chef der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer. Von einem Druck auf österreichische Firmen, von denen auch im Vorjahr nur wenige in St.Petersburg gewesen seien, sei nichts bekannt, so Dietmar Fellner, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Moskau. Österreichische Niederlassungen von US- oder kanadischen Konzernen wie Magna haben einen solchen aber sehr wohl bemerkt.

Die Chefs deutscher DAX-Konzerne haben zuletzt der Reihe nach abgesagt. Dabei hat der Westen bisher nur Sanktionen gegen einige wenige Personen im russischen Establishment eingeführt. Die Wirtschaft ihrerseits aber ist schon darüber alles andere als glücklich. „Natürlich haben die Russen in der Ukraine viel Mist gebaut“, sagt ein Vertreter eines westlichen Energiekonzerns. „Aber wozu wir das weiter anheizen, weiß ich nicht.“

Neue Sanktionen drohen

Weiter anheizen: Das heißt echte Wirtschaftssanktionen, die schon ab nächster Woche beschlossen werden könnten, wenn Moskau die Präsidentenwahlen in der Ukraine stören sollte.

Ins Auge springt, dass die Ukraine-Krise auf den Foren in St.Petersburg selbst von den milliardenschweren Tycoons gar nicht erwähnt wird. „Man redet mit den Unternehmern darüber derzeit lieber nicht“, sagt David Jakobaschwili, selbst Milliardär und Vizepräsident der russischen Industriekammer. „Es herrscht einfach zu viel Patriotismus.“

Patriotismus ist das eine. Angst das andere. Auch Jakobaschwili gibt zu, dass sich die russischen Unternehmer allesamt in einer Stresssituation befinden. Die Wirtschaft steht vor einer Rezession und wird heuer höchstens um 0,5 Prozent wachsen. Auch ohne Sanktionen würden die strukturellen Schwierigkeiten und das miese Investitionsklima einem Aufschwung im Wege stehen. „Mehr als wir uns selbst schaden, können uns die Amerikaner gar nicht schaden“, so Jakobaschwili.

Im Mainstream freilich ist der Westen zum Bösen geworden. China ersteht als der plötzliche Retter. „Jetzt ist China unser“, titelte gestern die russische Wirtschaftszeitung „RBK“, nachdem Gazprom den epochalen Liefervertrag mit China unterzeichnet hatte. Gewiss: Russland handelt mit der EU fünfmal so viel wie mit China. Russland bleibt zur Partnerschaft mit dem Westen verdammt.

Das demonstrieren einige europäische Staaten auch in St.Petersburg recht offen. Vor allem Frankreich und Finnland scheinen sich nicht um die politische Korrektheit in Zeiten der Sanktionen zu scheren. Im Unterschied zu deutschen Konzernen sind französische mit ihren Topmanagern präsent.

Wenn eine neue Eskalation in der Ukraine ausbleibt, könnten sich auch andere Länder wieder entspannt nach Russland wagen. Was die Wirtschaft für die nächste Zeit am meisten fürchtet, erklärt Milliardär Jakobaschwili mit einem Wort: „Dummheit“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2014)

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