Flucht in den reichen Norden

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Die Zahl der in Österreich beschäftigten Spanier, Italiener, Griechen und Portugiesen hat sich seit Ausbruch der Krise verdoppelt. Gebraucht werden aber nur Hochqualifizierte.

In der Vorwoche hat es der Frust der jungen Spanier auf die Straße geschafft. Die Zwangsräumung eines besetzten Hauses im Mittelschichtsviertel Sants in Barcelona löste gewaltsame Proteste aus, die tagelang nicht abreißen wollten. Freilich, bei Weitem nicht alle arbeitslosen Spanier sind gewaltbereit. Sonst stünde das Land längst in Flammen: Im April waren in Spanien 4,7 Millionen Menschen als arbeitslos gemeldet. 500.000 haben es aufgegeben, überhaupt einen Job zu suchen. Trotz der Aussicht, dass das Arbeitslosengeld nach zwei Jahren komplett eingestellt wird. In vielen Ländern im Süden Europas ist die Lage ähnlich trist: Die höchste Arbeitslosenrate hat Griechenland mit 26,7 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist fast überall zumindest doppelt so hoch.

Wer kann, ergreift die Flucht. Nach Großbritannien, Deutschland – oder auch Österreich. Laut Daten, die der „Presse am Sonntag“ exklusiv vorliegen, hat sich die Zahl der Beschäftigten aus den sogenannten „PIGS“-Ländern in Österreich seit der Krise verdoppelt. Im Vorjahr arbeiteten hierzulande 10.121 Italiener (2008: 6617), 2292 Spanier (2008: 990), 1367 Portugiesen (2008: 652) und 2071 Griechen (2008: 1130). Und es gibt keine Anzeichen für eine Trendumkehr. lm Gegenteil: „Bei den Hochqualifizierten wird das weitergehen“, sagt Michael Spalek, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Spanien. Und macht damit gleichzeitig eine trügerische Hoffnung zunichte: Dass jene zigtausenden Jungen, die zu Hause keine Arbeit finden, in Österreich oder Deutschland auf ein besseres Leben hoffen dürfen. Österreich und Deutschland werben in den Krisenländern zwar um Arbeitskräfte – vor allem aber um gut ausgebildete Fachkräfte, die sie in der Heimat nicht finden.


Kaum Aufstiegschancen. Die Wirtschaftskammer Österreich startete vor rund zwei Jahren ein Anwerbeprogramm in der südlichen Peripherie. Zielgruppe: Ingenieure. Spalek schätzt, dass so bisher etwa 150 Fachkräfte nach Österreich gekommen sind. Sehr zur Zufriedenheit ihrer neuen, österreichischen Arbeitgeber: „Sie sind gut ausgebildet, arbeitswillig und bringen ein gewisses Temperament in die Teams hinein“, sagt Spalek.

Jene Fachkräfte, die für Unternehmen im wirtschaftlich besser situierten Ausland interessant sind, hätten wegen ihrer Ausbildung auch in Spanien Jobmöglichkeiten – jedoch mit mäßiger Bezahlung und schlechten Aufstiegschancen. „Die Guten wissen, sie müssen internationaler werden“, so Spalek. Für die österreichischen Firmen ist das Fischen im Süden eines von vielen Mitteln gegen den Fachkräftemangel. Obwohl die Arbeitslosigkeit auch in Österreich so hoch ist wie noch nie, fehlen gleichzeitig die Arbeitskräfte. Ein klassischer Fall von „Mismatch“. „Die Qualifikation ist entscheidend. Der Zuwachs der Arbeitslosigkeit entfällt überwiegend auf Menschen mit geringer Ausbildung“, sagt Helwig Aubauer von der österreichischen Industriellenvereinigung.
Auch Deutschland fischt in den Krisenländern nach klugen Köpfen. 2013 stellte die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) noch fest, dass ein Großteil der jungen Spanier, Italiener, Portugiesen und Griechen binnen eines Jahres wieder in ihre Heimat zurückkehrt, weil sie mit falschen Erwartungen und ohne Deutschkenntnisse nach Deutschland gekommen waren. Laut aktueller Daten der Organisation soll sich dies inzwischen verbessert haben. Spalek stellt das auch für Österreich fest: „Viele denken sich, sie ziehen für ein, zwei Jahre nach Österreich. Aber wenn jemand die ersten sechs Monate übersteht, dann bleibt er meistens länger. Die österreichischen Firmen haben in Spanien einen sehr guten Ruf.“

Freilich, die Zahlen sind kein Grund, in Euphorie auszubrechen. Zumindest nicht für jene Heerscharen an Südländern, die mangels Jobaussichten in der Krise zurück zu den Eltern gezogen sind. Erstens sind die prozentuellen Steigerungen immer noch ein Klacks verglichen mit der Masse an Arbeitssuchenden: EU-weit waren zuletzt rund 5,6 Millionen Jugendliche ohne Job. Und zweitens gilt auch – oder gerade – im Ausland: Keine Ausbildung, keine Aussicht auf Arbeit.

In Spanien zog es während des Immobilienbooms vor der Krise zahlreiche Junge auf den Bau, wo sich das schnelle Geld machen ließ. Nach dem Platzen der Blase standen sie ohne Ausbildung da – und folglich ohne Job. Wo Ingenieure gesucht werden, werden sie nicht gebraucht. Auch nicht für Hilfsarbeiterjobs, für die man zumindest Englisch können muss. Spalek sagt: „Für unausgebildete Kräfte sehe ich auch in Zukunft wenig Chancen auf eine Arbeit in Österreich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2014)

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