Abgehobenen Märkten droht die nächste Krise

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Portugals Bankensektor wankt, China verfehlt sein Wachstumsziel und in Japan krachen die Industrieaufträge in den Keller. Die Aktienkurse scheinen die Realität längst überholt zu haben.

Lissabon/Paris/Wien. Heftige Turbulenzen im portugiesischen Bankensektor haben Anleger am Donnerstag weltweit aufgeschreckt. Sie warfen Aktien auf den Markt und deckten sich stattdessen mit als sicher geltenden deutschen Staatsanleihen und Gold ein.
Auslöser waren Spekulationen um Zahlungsprobleme bei der bekannten portugiesischen Bankiersfamilie Espirito Santo. Anleger befürchten ein Überschwappen auf andere Finanzwerte des Landes, sagte Pablo Zaragoza, Analyst der Bank BBVA. Medienberichten zufolge ermitteln die Behörden gegen die mit sieben Milliarden Euro verschuldete Firma Espirito Santo International (ESI) wegen angeblich „erheblicher Unregelmäßigkeiten".
Die Aktien einer weiteren Familien-Holding, die ebenfalls unter die Lupe genommen wird, Espirito Santo Financial, brachen an der Börse in Lissabon um mehr als 15 Prozent ein. Unter verschärfter Beobachtung steht auch die Banco Espirito Santo (BES), deren größter Aktionär die gleichnamige Familie ist. Die größte börsenotierte Bank Portugals hat binnen eines Monats etwa die Hälfte ihrer Marktkapitalisierung eingebüßt. Am Donnerstag wurde der Handel mit BES-Aktien ausgesetzt.

Schwache Konjunkturdaten

Und Portugal ist nicht das einzige Problem. Fast sechs Jahre nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers wird die Welt auf den Boden der Realität zurückgeholt. Die Weltwirtschaft sollte in diesem Jahr endlich wieder kräftig an Fahrt gewinnen. So wie es derzeit aussieht, dürfte daraus aber nichts werden.
Das angekündigte Wirtschaftswachstum wird es zwar geben, aber es wird deutlich schwächer ausfallen, als man zu Jahresbeginn gehofft hatte. Erst kürzlich reduzierte der Internationale Währungsfonds seine globale Konjunkturprognose auf 3,6 Prozent nach ursprünglich vier Prozent. Das wirkt sich freilich auch auf die Börsen aus, die vieles schon vorweggenommen haben.
Der wichtigste deutsche Aktienindex DAX verlor im gestrigen Tagesverlauf bis zu 1,7 Prozent, nachdem er kürzlich ein neues Allzeithoch markiert hatte. An den südeuropäischen Märkten ging es ebenso bergab. Schlechte Konjunkturdaten tragen das ihre dazu bei. In Japan brachen die Aufträge für die Maschinenbauer im Mai gegenüber dem Vormonat um 19,5 Prozent ein - und damit so kräftig wie noch nie. Marktbeobachter wurden auf dem falschen Fuß erwischt: Sie gingen von einem leichten Zuwachs aus. Jetzt spricht man schon von der „Japokalypse".

Auch für China ist unklar, ob der Staat sein Wachstumsziel wird erreichen können. Das Land steigerte seine Ausfuhren im Juni zwar um rund sieben Prozent, blieb damit aber hinter den Erwartungen zurück. Experten rechnen bereits mit neuen staatlichen Konjunkturhilfen, um den angestrebten Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes von 7,5 Prozent zu erreichen. In Europa ist die Lage nur unwesentlich besser: Das wirtschaftlich ohnehin angeschlagene Frankreich stellte im Mai weniger Industriegüter her. Italien teilt dieses Schicksal.

Die hohe Arbeitslosigkeit, der schwache Konsum und die niedrige Investitionsbereitschaft der Unternehmen hindern die Konjunktur daran, so richtig anzuspringen. Gepaart mit der mangelnden Reformbereitschaft in manchen Staaten ist das nicht gerade die beste Voraussetzung für ein Plus am Ende des Jahres.
Auch in Österreich wurde die Prognose der beiden Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS für das laufende Jahr Ende Juni etwas zurückgenommen.

Geldschwemme treibt Märkte

In Deutschland scheint der Konjunkturmotor ebenso ins Stocken geraten zu sein. Das Wirtschaftsministerium machte gestern unmissverständlich klar, dass das zweite Quartal wohl nicht das erhoffte Plus bringen werde. Zuletzt hatten Daten zu Produktion und Industrie neben schwächeren Exporten für Enttäuschung gesorgt. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Da ist die Rede von Kalendereffekten, aber auch von geopolitischen Spannungen. Die Krise zwischen der Ukraine und Russland sowie der aufgeflammte Konflikt zwischen Israel und Palästina sind ein schlechter Nährboden für Investitionen. Nicht nur in Deutschland.
Dass die Börsen auf all das zum Teil reagieren, ist kein Wunder. Aber eben nur zum Teil. „Die Aktienmärkte haben sich von der Konjunkturentwicklung abgekoppelt", sagt Erste-Bank-Marktstratege Hans Engel. Sonst würden die US-Börsen nicht auf einem Allzeithoch stehen.
Die Geldschwemme der Notenbanken habe in den vergangenen Jahren zu gewaltigen Kurssteigerungen geführt. Während die Märkte in den USA etwa auch von Aktienrückkäufen angetrieben wurden, sei in Europa auch viel von der Struktur der Aktienmärkte abhängig. Die Kursentwicklung von Finanztiteln geht an einigen Indizes nicht spurlos vorbei.

In Österreich drückte die Erste Bank die Wiener Börse jüngst ins Minus, nachdem das Institut ein schlechtes Ergebnis angekündigt hatte. Raiffeisen-Fondsmanager Norbert Janisch will die Hoffnung dennoch nicht aufgeben: „Grundsätzlich sind wir gegenüber den Aktienmärkten positiv eingestellt."
Sollte es tatsächlich schlechter kommen als erwartet, wird die europäische Notenbank Feuerwehr spielen. (nst)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2014)

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