Mit Karstadt wankt der Mythos Kaufhaus

Clock showing one minute to noon is seen at a warehouse of the German department store chain Karstadt in Hamburg
Clock showing one minute to noon is seen at a warehouse of the German department store chain Karstadt in HamburgREUTERS
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Hoffnung ausverkauft: Die Chefin schmeißt hin, die Belegschaft zittert vor einer Zerschlagung durch Benkos Signa-Holding. Mancherorts aber überlebt das gute alte Warenhaus.

"Ich bin Eva-Lotta", erklärte die neue Karstadt-Chefin ihrer verblüfften Mannschaft fröhlich. Spontan, zupackend und locker wollte die frühere Ikea-Managerin Sjöstedt das Wunder schaffen: den schon lange totgesagten deutschen Warenhausdampfer wieder flottzukriegen. Die 47-Jährige nahm täglich Deutschstunden, wirbelte in kurzer Zeit durch fast alle 83 Filialen, stellte sich selbst hinter die Budel und hörte sich mit echtem Interesse die Ideen der Mitarbeiter vor Ort an. Viele der 17.000 hatten erstmals seit Langem wieder leise Hoffnung, es könnte sich doch noch alles zum Guten wenden.

In dieser Woche ist die zarte Aufbruchstimmung kollektiver Verzweiflung gewichen: Völlig überraschend warf die Hoffnungsträgerin am Montag das Handtuch. Die Begründung: fehlende Unterstützung durch den Eigentümer. Ist das der Todesstoß? Nach der Insolvenz vor fünf Jahren, dem rettenden Ein-Euro-Kauf durch den deutsch-amerikanischen Investor Nicolas Berggruen und vielen Jahren tiefroter Zahlen steht der Konzern aus Essen vor dem endgültigen Aus. Und da taucht René Benko auf: Die Signa-Holding des österreichischen Immobilien-Senkrechtstarters verhandle mit Berggruen über eine Übernahme, meldete die „Bild“-Zeitung am Freitag.

Was ist Ursache, was Wirkung? Darüber rätselt die Branche. Fest steht: Berggruen hat Benko für den Fall, dass er sich von seinem Sorgenkind trennen will, eine Option zugesichert. Schon jetzt gehören dem Tiroler 21 Karstadt-Immobilien, die Sportfilialen und drei Edelkaufhäuser. Was aber könnte Benko vorhaben? Den langen Weg durchs Jammertal einer harten Sanierung wird sich der junge Immobilenmogul kaum antun. Eine Insolvenz zu provozieren wäre nicht gut fürs Image. Ein möglicher Plan: die großen Verlustbringer in Shoppingcenter umwandeln, deren Flächen an viele einzelne Händler vermietet werden. Und einige überlebensfähige Standorte dem Konkurrenten Kaufhof anbieten – eine kleine Lösung statt der oft propagierten Fusion, gegen die sich der Metro-Konzern als Kaufhof-Mutter stets gesträubt hat.

Lokale Sortimente. Galeria Kaufhof schreibt schwarze Zahlen, vor allem wegen eines rigiden Kostenmanagements, aber ein zukunftsträchtiges Konzept fehlt auch dort. Warenhäuser scheinen allesamt aus der Zeit zu fallen. Früher waren sie Tempel der Konsumkultur und vielerorts das Zentrum des urbanen Lebens. Heute ist ihre Grundidee passé: Der Anspruch, die ganze Warenwelt abzubilden, lässt sich durch die ausufernden Sortimente längst nicht mehr aufrechterhalten. Auch ein Shoppingcenter bietet „alles unter einem Dach“, aber mit der Fachkompetenz der Sortimentspezialisten. Und der Online-Handel setzt den Todesstoß für strategische Auslaufmodelle im Einzelhandel.Denn der Markt wächst real schon lang nicht mehr, nur Verdrängung führt zum Erfolg.

Wie aber wollte die zielstrebige Eva-Lotta dem Wandel trotzen? Sie erkannte schnell, dass zentral gesteuerte Sortimente nicht mehr funktionieren. An der Nordsee sind Gummistiefel gefragt, am Alpenrand Wanderschuhe. In einem ersten Schritt teilte sie die Häuser nach vier Zielgruppen ein: In kleinen Städten sollen sie wie ein täglicher Nahversorger agieren, in mittleren der Landbevölkerung aus dem Umkreis ein Einkaufserlebnis bescheren. Die Großstadtfilialen müssen für wohlhabende Touristen aus aller Herren Länder attraktiv sein, während grenznahe Standorte – etwa Dresden für die Tschechen – das Richtige für die Nachbarn auf Shoppingtour bieten müssen. In einem zweiten Schritt sollten Filialleiter weit mehr Kompetenzen bekommen, ihr eigenes Sortiment gestalten zu können.

Das klingt teuer und ineffizient. Aber es ist das Erfolgsgeheimnis jener solitären Warenhäuser, die heute noch in Deutschland profitabel sind. Sie liegen, von ein paar Luxusadressen wie Benkos KaDeWe in Berlin abgesehen, fernab der großen Städte. Ihre Leiter beobachten genau, was in ihrer Gemeinde fehlt, und decken diese Nischen gezielt ab. Von der Werbung bis zur Präsentation ist alles auf die lokale Kundschaft zugeschnitten. So machte es schon ein gewisser Rudolph Karstadt, als er 1880 ein bescheidenes Kaufhaus in der norddeutschen Kleinstadt Stralsund eröffnete. Der Mythos Warenhaus kehrt nun dorthin zurück, wo er herkommt: in die Provinz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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