Wirtschaftsforscher: "Die Perspektive prägt Investitionen"

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Themenbild(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Ökonom Karsten Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung meint, es sei besser, Industrien mit energieeffizienten Produkten in Europa zu halten als Energiefresser wie die Stahlindustrie.

Die Presse: Sie argumentieren in einer aktuellen Studie, dass hohe Energiepreise kein großes Problem für den Standort Europa sind, da nur acht Prozent der Industrie energieintensiv sind. Laut Voest-Chef Wolfgang Eder sind jedoch alle Industrien betroffen, da langfristig etwa die Autoindustrie auch abwandern würde, wenn die Stahlindustrie verschwindet. Hat Eder unrecht?

Karsten Neuhoff: Wir argumentieren nicht, dass wir uns gar nicht darum kümmern müssen, weil es nur acht Prozent sind. Wir argumentieren, dass wir zwischen den 92 und den acht Prozent in der Diskussion unterscheiden müssen. Bei den 92 Prozent stellen Energiekosten im Schnitt 1,7Prozent der Gesamtkosten dar. Diese können zusätzliche Kosten etwa aus der Klimaschutzpolitik tragen. Für die acht Prozent energieintensiver Industrie muss es – wie bisher – Maßnahmen geben, die eine Verlagerung nur aufgrund der Klimaschutzmaßnahmen verhindern. Und man muss dafür sorgen, dass es eine klare Perspektive gibt, wie diese Maßnahmen 2030 oder später aussehen werden. Denn nur die Perspektive ist es, die Investitionsentscheidungen beeinflusst. Zudem ist aber zu sagen, dass die Großhandelspreise, die für die Industrie ja entscheidend sind, zuletzt aufgrund der Erneuerbaren eher gesunken sind.

Dennoch ist die jüngste Entwicklung in Europa so, dass zumindest nicht mehr neu investiert wird und europäische Firmen in die USA gehen. Die vorhin genannte Voestalpine baut ein neues Werk in den USA und stellt Ersatzinvestitionen am Standort Linz infrage.

Manche industriellen Prozesse – etwa die Umwandlung von Gas in Düngemittel – sind so stark von den Energiekosten getrieben, dass sie immer dorthin wandern, wo die Kosten am niedrigsten sind. Und beim Gaspreis wird Europa einfach nicht mit dem Schiefergas in den USA konkurrieren können. Das erklärt etwa die Investitionen deutscher Chemieunternehmen in den USA. Beim Stahl haben wir aber 20 bis 30 Prozent Überkapazität in Europa. Das hängt mit der Wirtschaftskrise zusammen und nicht mit der Klimaschutzpolitik.

Dennoch bleibt die Frage: Die USA haben niedrige Energiekosten, Asien niedrige Lohnkosten, Europa weder noch. Kann Europa in diesem Umfeld die angepeilte Reindustrialisierung auf 20 Prozent Industrieanteil schaffen?

Die Frage ist aber auch: Sollten wir das überhaupt schaffen? Wir sind sogar jetzt Nettoexporteure von Stahl. Sollen wir jetzt unsere Stahlindustrie weiter ausbauen? Wäre es nicht besser, jene Bereiche auszubauen, in denen es auch eine höhere Wertschöpfung gibt – beispielsweise bei besonders energieeffizienten Produkten oder Technologien für Erneuerbare?

Dieses Ziel hatte ja bereits das deutsche Ökostromgesetz. In der Realität sind die deutschen Solarzellenhersteller wie Q-Cells aber gescheitert, und die großen Hersteller sitzen in China. Kann man mit Regulierung einen neuen Markt schaffen?

Ich glaube weiterhin, das es eine sehr erfolgreiche Strategie war und ist. So haben wir in Deutschland immer noch sehr viele Maschinenbauer, die die Maschinen zur Herstellung von Solarzellen produzieren. Wir haben also immer noch einen wesentlichen Teil dieser Wertschöpfung. Nur die Massenproduktion der Zellen findet heute woanders statt. Zudem hat China selbst die Fotovoltaik massiv gefördert und somit auch viel zur Stärke der eigenen Industrie beigetragen.

Andere Ökonomen sehen das deutlich kritischer. Laut Oliver Bettzüge von der Uni Köln sind die künftigen Verpflichtungen, die Deutschland mit seinem Ökostromgesetz eingegangen ist, höher als zehn Prozent der Staatsschuld. Man hätte daher, statt Null-CO2-Technologien zu fördern, lieber von Kohle auf Gas wechseln sollen. Damit hätte man eine Senkung viel billiger erreicht.

Wir haben eine Zeit lang sehr viel in Fotovoltaik investiert. Das gilt als historischer Fehler, es hat aber auch dazu geführt, dass die Investitionskosten in Erneuerbare global stark gesunken und diese zunehmend mit fossilen Energieträgern konkurrenzfähig geworden sind. Zudem ist es keine relevante Frage mehr, denn es ist eine Verpflichtung, die man bereits eingegangen ist – also sunk costs. Hat Deutschland damit zu viel zum globalen Lernen über Erneuerbare beigetragen? Wenn man sich ansieht, wie viel andere Nationen für ihr Militär ausgeben, um fossile Quellen zu sichern, ist es fraglich, was höher ist.

Es bleibt aber die Frage, ob man nun bei den Förderungen auf die Bremse steigen sollte.

Ein privater Haushalt zahlt sechs Cent pro Kilowattstunde von einem Tarif, der in Summe 28 Cent je Kilowattstunde beträgt. In den 1980er-Jahren haben Haushalte 2,3Prozent ihres Einkommens für Strom aufgewendet, heute sind es 2,5 Prozent. Für die deutsche Bevölkerung ist es also eine tragbare Belastung. Statt über die sunk costs von gestern zu reden, sollten wir lieber danach trachten, dass die zukunftsweisenden Firmen, die wir in Europa haben, sich weiterentwickeln können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2014)

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