EU-Anwärter Serbien droht der Bankrott

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Noch keine 100 Tage ist Serbiens neue Regierung im Amt, schon ist der Finanzminister zurückgetreten. Der angeschlagene Balkanstaat steuert auf die Zahlungsunfähigkeit zu.

Belgrad. Serbiens vermeintliches Wunderkind zieht die Notbremse. Vor knapp einem Jahr hat der damalige Vize-Premier, Aleksandar Vučić, den Harvard-Absolventen Lazar Krstić als Finanzminister aus dem Hut gezaubert. Nun hat der 30-Jährige die Reißleine gezogen – und ist von seinem Posten zurückgetreten. Vergeblich hatte Krstić harte Einschnitte bei Renten und Gehältern angemahnt – und vor dem griechischen Bankrottszenario gewarnt: „Wenn wir weiter die Realität ignorieren, werden wir den Staat buchstäblich in die Knie zwingen.“

Noch keine 100 Tage ist Serbiens neue Regierung im Amt – und schon ist der erste Hoffnungsträger entnervt von Bord gegangen. Inzwischen wird in dem auch noch durch die Hochwasserkatastrophe im Mai gebeutelten Krisenstaat für 2014 erneut mit einem Minuswachstum von einem Prozent gerechnet: Trotz vollmundiger Reformversprechen von Premier Vučić trudelt der EU-Anwärter immer schneller der Zahlungsunfähigkeit entgegen. Das Land kämpft mit einer überbordenden Zahl an Pensionisten und einem Budgetdefizit in Rekordhöhe.

Leere Versprechungen

Schön war sie, die Wahlkampfzeit. Hell blinkte der Mercedes-Hoffnungsstern, den der selbst erklärte Staatserneuerer Vučić im März im heruntergekommenen Ikarbus-Werk in Belgrad auf eine eilig zusammengeschweißte Buskarosserie montierte. In ganz Südosteuropa sei die Nachfrage nach dem „serbischen Mercedes“ groß, versicherte damals der Wahlkämpfer mit siegessicherem Lächeln: „Die Rückkehr von Mercedes nach Serbien ist das Signal für das neue Wachstum unserer Industrie. Zu Jahresende sehen wir das Licht am Ende des Tunnels.“

Noch keine vier Monate liegt die Zeit der goldenen Verheißungen zurück. Doch außer dem auf einem Mercedes-Chassis montierten Prototyp ist bei Ikarbus noch kein weiterer „serbischer Mercedes“ vom Band gerollt – und Käufer sind für das schon bei der Premiere veraltet wirkende Busvehikel auch noch nicht gefunden.

Das Interesse in der Region an dem neuen Bus sei zwar „groß“, versichert Werksleiter Aleksandar Vićentić: Doch dessen Motor entspreche noch nicht den in der EU vorgeschriebenen Standards.

Nicht nur beim angeschlagenen Ikarbus-Werk scheint sich der Betriebsalltag eher nach dem Gezeitenlauf der Politik als den Bedürfnissen des Markts zu richten. 584 hoch defizitäre oder faktisch bankrotte Staatsbetriebe hält Belgrad mit insgesamt jährlich 600 Millionen Euro an Subventionen künstlich am Leben: Insgesamt verzehren die Lohnzahlungen im öffentlichen Sektor rund ein Viertel des ausgebluteten Staatsbudgets.

Weitere 30 Prozent des Budgets verschlingen die Kosten für das wachsende Heer der Pensionisten: Deren Zahl hat mit 1,7 Millionen in diesem Jahr erstmals die der Steuerzahler überschritten. Von denen steht zu allem Übel fast die Hälfte beim Staat in Lohn und Brot: Es sind auch die Kosten für den aufgeblähten Verwaltungsapparat, die das Haushaltdefizit auf die Rekordhöhe von über acht Prozent haben klettern lassen.

Ein Wirtschaftsaufschwung scheint in dem Balkanstaat nicht in Sicht. Im Gegenteil: Statt der von Premier Aleksandar Vučić immer wieder gelobten Neuinvestitionen in Milliardenhöhe sind die Auslandsinvestitionen in den ersten vier Monaten des Jahres weiter kräftig abgesackt.

Harte Einsparungen und Reformen predigt Aleksandar Vučić, dessen nationalpopulistischer SNS bei den Wahlen im vergangenen März rund die Hälfte der Wähler das Vertrauen schenkte. Doch obwohl die SNS seit zwei Jahren die Regierungsgeschäfte kontrolliert und Vučić seit April auch offiziell das Kabinett führt, sind dessen Ankündigungen bislang kaum Taten gefolgt.

Komfortable Mehrheit

Dabei hat die Regierung angesichts ihrer komfortablen Zweidrittelmehrheit weder Neuwahlen noch die am Donnerstag zum Generalstreik aufrufenden Gewerkschaften zu fürchten. „Nichts kann die Regierung von den versprochenen Reformen abhalten – außer sie selbst“, konstatiert denn auch die Zeitschrift „Nin“.

Tatsächlich scheinen dem Populisten Aleksandar Vučić unpopuläre Maßnahmen ausgesprochen schwerzufallen. Die von dem gerade erst abgetretenen Finanzminister Lazar Krstić vorgeschlagene Rosskur sei „nicht realistisch“, beschied der neue Premier lakonisch. Die Segnungen der von ihm geplanten Reformen würden hingegen „in drei bis vier Jahren“ zu spüren sein.

Keinerlei Glauben an den Reformwillen des wortgewandten Premiers hegt hingegen der ehemalige serbische Wirtschaftsminister Saša Radulović, der Vučić nur „leeres Selbstmarketing“ bescheinigt: „Er ist ein Mann, der Ankündigungen ankündigt“, sagt Radulović. „Doch sein Wort hat keinerlei Wert: Er sagt immer nur das, was gern gehört wird. Auch wenn er etwas völlig anderes denkt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2014)

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