Die politische Potenz des russischen Gases

Eckhard Cordes
Eckhard Cordes(c) EPA
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Die EU ringt verzweifelt um eine einheitliche Position bezüglich Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Kein Staat will es sich mit Putin verscherzen. Die größten Bremser sind die, die von russischem Gas abhängig sind.

Wien. Sie sind nicht gänzlich unerwartet gekommen. Und doch: Seit die US-Sanktionen gegen Russland vorige Woche verkündet worden sind, hält die Schockstarre in der Geschäftswelt an. Nicht nur in Russland selbst, wo die verstörten Unternehmer sich als Geiseln von allen Seiten fühlen und jede öffentliche Äußerung ängstlich vermeiden, wie ein russischer Milliardär im Gespräch mit der „Presse“ erklärt. Auch westliche Wirtschaftsvertreter müssen sich erst an die neuen Bedingungen gewöhnen und lobbyieren gegen weitere Sanktionen seitens der EU.

Vorerst offenbar mit Erfolg. Denn dass die EU außer einem Waffenembargo heute, Donnerstag, auch Wirtschaftssanktionen für ganze Sektoren einführt, hat sich gestern nicht abgezeichnet.

Die Lobbyisten hatten alle Geschütze aufgefahren. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag erinnerte zuletzt unermüdlich an seine Umfrage, dass schon die jetzigen Sanktionen jeden vierten deutschen Exporteur treffen. Der Vorsitzende des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes, beziffert den heurigen Rückgang des Exportes nach Russland mit über sechs Mrd. Euro.

Lobbyisten in Aktion

Frankreich wiederum will laut Präsident François Hollande den 1,2 Mrd. Euro teuren Auftrag für die Lieferung von Mistral-Hubschrauberträgern nicht verlieren. Selbst das sonst so Kreml-kritische Großbritannien befindet sich in der Zwickmühle, da der britische Ölkonzern BP am russischen Branchenprimus Rosneft beteiligt ist, der von den USA gerade auf die Sanktionsliste gesetzt worden ist. Zypern ist und bleibt Russland als Offshore-Geldparkzone ohnehin verbunden. Und Österreich tritt bei Sanktionen aufgrund des übermäßigen Russland-Engagements seiner Banken auf die Bremse. Schließlich sind russische Unternehmen und Banken laut Zentralbank mit über 600 Mrd. Dollar im Ausland verschuldet.

Einen Einblick, wie sehr wirtschaftliche Verflechtung auch die politische Haltung in der Sanktionenfrage bestimmt, hat dieser Tage Anton Olejnik, Ökonom der russischen Akademie der Wissenschaften und Professor der Universität Memorial in Kanada, in einer Regressionsanalyse, die auf Vorstudien des europäischen Thinktanks Open Europe fußt, herausgearbeitet. Olejniks Schluss: Je höher der Anteil des russischen Gases am Gasbedarf eines Landes, umso aktiver stemmt sich dieses Land gegen Sanktionen, was sich übrigens schon beim Abstimmungsverhalten im Europarat nach dem Russisch-Georgischen Krieg 2008 gezeigt hatte (so Bryon Moraski und Magda Giucanu in ihrer Studie: „European Reactions to the 2008 Georgian-Russian War“).

Pragmatik und Prinzipientreue

Immerhin in einem gewissen Ausmaß scheint die Schlussfolgerung tatsächlich zu stimmen. Bulgarien, Ungarn, Griechenland, die Slowakei, Slowenien, Österreich oder Finnland sind allesamt in ihrem Gasbedarf zwischen 55 und 100 Prozent von Russland abhängig und lehnen weitere Sanktionen eher oder vehement ab. Ebenso Deutschland, das immerhin knapp 40 Prozent seines Gases aus Russland bezieht.

Die Analyse hat aber Unschärfen. Zu den Sanktionsgegnern zählt nämlich auch Spanien, das überhaupt kein russisches Gas zukauft. Darüber hinaus Portugal, Luxemburg, Italien, Zypern, die Niederlande und Malta, die kaum bis wenig von russischem Gas abhängen, allerdings über andere Handelsbeziehungen stark mit Russland verbunden sind. Die wirklichen Ausreißer aus dem Modell sind Polen und die drei Baltischen Staaten, die zu 100Prozent am russischen Gastropf hängen und dennoch die unerbittlichsten Verfechter einer harten Gangart gegen Moskau sind. Gas ist also nicht das allein entscheidende Motiv politischer Haltung. Die geschichtliche Erinnerung der Balten an einen schwierigen Nachbarn scheint allemal stärker zu sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2014)

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