Schuldenstreit: Die Uhr tickt für Argentinien

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Argentinien muss bis Mittwoch eine Reihe Hedgefonds auszahlen - weigert sich aber. Denn wenn andere Gläubiger es den Hedgefonds nachmachen, droht die Apokalypse.

Buenos Aires. Die Uhr tickt, und es hat den Anschein, als würde ihr Ticken immer lauter, mit jeder Stunde, die Argentinien dem nächsten Abgrund entgegensteuert. Wenn bis zum 30. Juli nicht noch ein jäher Wandel eintritt, dann werden die Ratingagenturen am Mittwoch wieder das Wort „Default“ hinter den Staatsnamen kleben.

Wochenlang konnten sich die Argentinier über die Erfolge ihrer Fußballauswahl bei der Weltmeisterschaft in Brasilien freuen, der Siegeszug bis ins Finale versetzte das Land in eine kollektive Emphase, deren Ende nach dem verlorenen Finale so traumatisch war, dass Psychologen im TV die Frage beantworten mussten: „Wie weiterleben ohne Weltmeisterschaft?“

Die Wirtschaftslage tat das Übrige: Als die Übertragung aus Rio beendet war, bekam auch der letzte Argentinier mit, dass die Preise für Grundnahrungsmittel schon wieder mächtig gestiegen waren. Lebensmittel sind heute um etwa 45 Prozent teurer als vor einem Jahr, die allgemeine Inflationsrate liegt trotz Rezession bei 35 Prozent. Der Konsum, der jahrelang die Wirtschaft trug, ließ spürbar nach und die Betriebe bauen Personal ab, am Dienstag verkündete Volkswagen die Entlassung von 900 Arbeitern im Getriebewerk Cordoba. Sollte am Mittwoch das Land tatsächlich wieder seinen Schuldendienst aussetzen, dann würde das die angezählte argentinische Wirtschaft massiv treffen, davon gehen alle Ökonomen am Rio de la Plata aus.

Dennoch hatte es zu Wochenanfang den Anschein, als würde die Regierung ihr Volk bereits auf den Zahlungsausfall vorbereiten, der – anders als die sieben vorausgegangenen Staatsbankrotte – nicht eintreten würde, weil Argentinien nicht zahlen kann. Das Finanzsystem würde „Default“ erklären, weil Argentinien seine Gläubiger nicht bezahlen darf, obwohl es will.

Das böse „D“-Wort

„Lasst euch einen anderen Begriff einfallen“, rief Cristina Kirchner am Mittwoch anlässlich einer Fabrikseröffnung den Ratingagenturen entgegen. „Denn Default erklären jene, die nicht bezahlen. Aber Argentinien hat bezahlt!“ Was die Präsidentin jedoch nicht erwähnt hat: Die Gläubiger haben das Geld, das auf einem Konto der Bank of New York eingefroren ist, nicht termingerecht zum 30. Juni bekommen. Wenn sich keine Lösung bis zum Ende der letzten Frist nächsten Mittwoch ergibt, dann werden Moody's, Fitch und Standard and Poor's wohl wenig Verständnis für Kirchners Dialektik aufbringen und den Ausfall des Schuldendienstes mit dem „D“-Wort vermerken.

Es ist eine extrem vertrackte Situation, in der Argentinien seit Mitte Juni steckt. Damals verfügte die US-Justiz zum Entsetzen von Frau Kirchner, dass ihr Land einen Richterspruch aus dem Jahre 2012 befolgen muss. Der New Yorker Chief Justice Thomas Griesa hatte verfügt, dass eine Gruppe von Hedgefonds 1,3 Milliarden Dollar plus Zinsen zu bekommen hätten, heute wären das etwa anderthalb Milliarden Dollar. Die Fonds NML Capital und Aurelius sowie einige kleinere Anleger hatten sehr günstig argentinische Staatsanleihen aus der Zeit vor dem Staatsbankrott 2001 gekauft.

Doch diese Fonds wollten nicht, wie insgesamt 93 Prozent der Altgläubiger, auf zwei Drittel des Nennwerts verzichten. Ihre hoch bezahlten Anwälte zogen vor Gericht, um jenen Betrag zu bekommen, den Argentinien einst eingestrichen hatte, plus Zinsen. Die Rendite für die Fonds wäre traumhaft: Aus 60 Millionen würden 1,5 Milliarden Dollar.

Mit ihrem Geschäftsmodell kamen die Fonds gerade recht für die Kirchner'sche Politik, die stets dann zu Hochform aufläuft, wenn sie einen äußeren Feind findet. Die Präsidentin titulierte die Fonds jahrelang als „Aasgeier“ und lehnte jeglichen Umgang ab, auch dann noch, als Richter Griesa 2012 verfügte, Argentinien müsse die Fonds voll auszahlen. Solange diese Zahlung nicht ausgeführt sei, dürfte das Land auch den umgeschuldeten Gläubigern nichts zahlen. Diese ungewöhnliche Bedingung ist es, die nun die neue Krise ausgelöst hat, nachdem der US Supreme Court im Juni Griesa bestätigt hat: Um seinen Schuldendienst aufrechtzuerhalten, muss das Land bis zum 30. 7. die Hedgefonds ausbezahlen.

Bis zur Apokalypse

Das wird Argentinien nicht machen, beschloss Kirchner, nachdem sie am Dienstagnachmittag in ihren blau angestrahlten rosafarbenen Palast mit ihren Beratern Pest gegen Cholera abgewogen hat. Die Präsidentin bevorzugt den teilweisen Zahlungsausfall gegenüber der Möglichkeit eines totalen Bankrotts. Kirchner und ihr Wirtschaftsminister Axel Kicillof fürchten eine Klausel in den Umschuldungsverträgen von 2005 und 2010.

Diese könnte alle Gläubiger, die sich auf den Schuldenschnitt eingelassen haben, dazu bemächtigen, ebenfalls 100 Prozent plus Zinsen zu fordern, falls Kirchner die „Aasgeier“ ausbezahlt. Das könnte Forderungen von mindestens 120 Milliarden Dollar nach sich ziehen, manche Schätzungen gehen bis zu 500 Milliarden. Es wäre die Apokalypse.

AUF EINEN BLICK

Ein US-Urteil verpflichtet Argentinien, eine Reihe von Hedgefonds
auszuzahlen, die Staatsanleihen aus der Zeit vor dem Staatsbankrott 2001 günstig gekauft haben. Die übrigen 93 Prozent der Gläubiger haben sich mit Buenos Aires auf eine Umschuldung geeinigt. Aber wenn Argentinien die Hedgefonds auszahlt, könnten auch diese anderen Gläubiger ihr Geld verlangen. Es geht um hunderte Millionen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2014)

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