Börsen: Zeichen der Stärke oder Ruhe vor Sturm?

Traders work on the floor of the New York Stock Exchange in New York
Traders work on the floor of the New York Stock Exchange in New York(c) REUTERS (LUCAS JACKSON)
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Die Aktienmärkte reagieren auf die politischen Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten bisher sehr besonnen. Ob das ein gutes Zeichen ist, oder ob vielmehr das dicke Ende noch kommt, ist unter Experten allerdings umstritten.

Wien. Die Sorgen wegen der Krisenherde in der Ukraine, in Gaza und im Irak setzen auch den Börsen zu. Nicht nur die russischen Indizes rutschten in den vergangenen Tagen ab; auch der Frankfurter DAX entfernte sich wieder deutlich von seinem Allzeithoch bei über 10.000 Punkten, das er heuer schon erklommen hatte.

An den US-Börsen gingen die Unruhen auf den ersten Blick spurlos vorüber. Nachdem vor Kurzem ein malaysisches Flugzeug über der Ukraine abgeschossen worden war, sei die Volatilität bei US-Aktien, die schon länger auf Rekordtiefs liege, ein wenig angestiegen, stellt Russ Koesterich, Chefinvestmentstratege bei Black Rock, in seinem jüngsten Marktkommentar fest. Dabei wuchs die Nervosität der Anleger vor allem bei den Papieren kleinerer Unternehmen, also sogenannten Small Caps.

„Small Caps“ sind anfälliger

Sieht man davon ab, ist nicht viel passiert. Den großen US-Börsen setzte der Zwischenfall fast gar nicht zu. Die geringe Volatilität zeige, dass die Investoren die Möglichkeit schlechterer Nachrichten derzeit kaum in Betracht zögen, schreibt Koesterich. Doch herrsche an möglichen Auslösern für stärkere Marktturbulenzen kein Mangel. „Das geopolitische Risiko ist definitiv gewachsen.“ Die Tragödie in der Ukraine habe gezeigt, dass die Unruhen im östlichen Teil des Landes ganz und gar nicht vorbei sind. Zudem werde die Welt gerade Zeuge der kontinuierlichen Zersplitterung des Irak und der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Israel and der Hamas in Gaza.

Der leichte Ausschlag der Volatilität bei den Small Caps zeige, dass vor allem diese Papiere sehr anfällig wären, wenn sich die Krise zuspitzte. Koesterich rät, sich für diesen Fall zu rüsten und lieber auf große US-Unternehmen statt auf kleine zu setzen. Innerhalb der Branchen zieht er Energie und „alte Technologie“ den momentan sehr gefragten Namen im Social- Media-Bereich vor.

Asoka Wöhrmann, Chief Investment Officer bei der Deutsche Asset & Wealth Management, konstatiert ebenfalls, dass der US-Aktienmarkt (noch) nicht allzu stark auf die Turbulenzen reagiert. So habe sich der Dow Jones Industrial Average bislang von den Sanktionen gegen Russland unbeeindruckt gezeigt. Auch er mahnt jedoch zur Vorsicht: „Wir erwarten, dass die Aktienmärkte eher auf eine Reihe von Ereignissen als auf einzelne reagieren, aber tendenziell steigt die Volatilität bei niedrigen Volumen im Sommer.“ Als „größte Sorge“ bezeichnet er die Auswirkungen auf die europäischen Gewinne. Dagegen sei in Bezug auf die Situation im Nahen Osten zwar höhere Volatilität in der Region zu beobachten, man sehe hier aber keinen Effekt auf die globalen Märkte.

„Künftig weniger Wachstum“

Noch düsterer fällt die Prognose von Steen Jakobsen, dem Chefvolkswirt der Saxo Bank, aus: Es gelte, sich insgesamt auf weniger Wachstum, weniger Gewissheit und höheres geopolitisches Risiko einzustellen, meint er. Jakobsen stützt sich dabei auf die Beobachtung der Energiepreise. Das sei die einfachste Art, geopolitische Risken zu messen, „weil Energie die Wirtschaft belastet, wenn sie teuer ist, und sie entlastet, wenn sie günstig ist“. Seit dem 15. Juli zahlen Verbraucher weltweit um zwei US-Dollar mehr pro Barrel (159 Liter) WTI-Rohöl, rechnet er vor.

Er gibt weiters zu bedenken, dass für konstantes weltweites Wachstum zudem auch ein anhaltendes Wachstum in Afrika, dem Nahen Osten und Osteuropa erforderlich sei: „Wir müssen begreifen, dass die Welt heute wirklich global ist.“ Als die Globalisierung die Preise drückte und Unternehmen höhere Gewinne bescherte, habe man zufrieden gelächelt. Heute spiegle die Eskalation von Konflikten jedoch eine Welt wider, „in der das Wachstum schwach und Energie teuer und zusehends weniger leicht zugänglich ist“.

Zwar hätten die weltweiten Unruhen bisher noch keinen Einfluss auf den Markt, „aber alles im Zusammenhang mit Wirtschaft hat eine verzögerte Reaktion von neun bis zwölf Monaten“. Wenn der aktuelle Zustand erhöhter Wachsamkeit über den Sommer fortdauere, „werden steigende Energiepreise garantiert nicht nur das globale Wachstum, sondern auch den Markt gravierend beeinflussen“, warnt Jakobsen.

„Nicht zu lang zuwarten“

Wird durch die zahlreichen Krisenschlagzeilen nun die scharfe Aktienmarktkorrektur ausgelöst, die von vielen Experten schon lange heraufbeschworen wird? Soll man sich als Anleger zurückhalten und warten, bis die weltweiten Unruhen vorbei sind?

Heinz Mayer, Vorstandsmitglied der Schoellerbank, glaubt das nicht. Angesichts der zahlreichen Negativmeldungen würden die Börsen geradezu besonnen auf die Krisen reagieren.

Lediglich Aktien von Unternehmen mit starkem Russland-Engagement oder Papiere von Unternehmen, die direkt von verschärften Sanktionen betroffen wären (etwa Gazprom), seien etwas stärker abgerutscht. Die russische Börse hat zwar nachgegeben, liegt aber immer noch deutlich über dem Stand vom März, als die Krimkrise hochkochte.

„Es ist ein Stärkezeichen der Börsen, dass sie auf die Krisen nicht hitzköpfig reagieren“, stellt der Schoellerbank-Experte fest. Wären die Börsen überhitzt, würden sich solche politische Unruhen auf alle Aktien auswirken. Mayer hält wenig davon, mit Investitionen auf ein Ende der Krisen zu warten. „So haben viele Leute schon viel Geld liegen lassen.“

Dass man nun ausgerechnet zu den billig gewordenen russischen Aktien greifen sollte, glaubt er allerdings auch nicht. Grundsätzlich sei es eine gute Strategie, antizyklisch zu kaufen, also dann, wenn die Aktien günstig sind. Und das sind russische Aktien, wenn man etwa Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis zugrunde legt.

Günstige Bewertungen finde man indes auch in vielen asiatischen Schwellenländern– und das bei guten wirtschaftlichen Prognosen und höherer Rechtssicherheit als in Russland, wo es um Eigentümerrechte weniger gut bestellt sei. Als Vermögensverwalter würde er das Geld seiner Kunden daher nicht in diesen Markt stecken, sagt er.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2014)

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