Handelsabkommen: Indiens bittere Reiskur für die Welt

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Indien blockiert ein globales Freihandelsabkommen, weil es seine Reisbauern ewig fördern will. Die Folgen: Die WTO wankt und die Vorteile der reichen Länder werden einzementiert.

Genf. Wie ging dieser Spruch noch? Wenn in China ein Sack Reis umfällt, interessiert das keinen Menschen? Wenn dasselbe in Indien passiert, schlagen die Wellen derzeit hingegen bis ins tiefste Schweizer Bergland, wo die Welthandelsorganisation WTO ihren Sitz hat. Am Freitag verweigerte Indien die Unterschrift unter das erste weltweite Freihandelsabkommen, auf das sich die knapp 160 WTO-Mitgliedsländer vor einem halben Jahr auf Bali geeinigt hatten.

Grund für die plötzliche Blockade des 1,2-Milliarden-Einwohner-Landes sind kleine weiße Reiskörner. Der erst vor drei Monaten gewählte indische Premierminister, Narendra Modi, will das Papier, das sein Vorgänger ausverhandelt hat, erst unterschreiben, wenn garantiert ist, dass Indien weiterhin Reis und Getreide horten und die heimischen Bauern hoch subventionieren darf, um den 800 Millionen Indern zu helfen, die nicht ausreichend zu essen haben. Die anderen Mitgliedstaaten der WTO sehen in den milliardenschweren Förderungen jedoch ein unerlaubtes Handelshemmnis und bieten Indien lediglich eine Schonfrist bis 2017 an.

Handelshemmnisse steigen an

Für die WTO selbst bedeutet die Ablehnung des so umjubelten Bali-Pakts einen schweren Rückschlag. Im zwanzigsten Jahr seit ihrer Gründung hat die Organisation damit immer noch kein einziges weltweit gültiges Abkommen auf die Beine stellen können. Die Legitimation der WTO als Plattform für internationale Handelsabkommen schwindet zusehends. Immer mehr Industrienationen und Schwellenländer vertrauen längst auf bilaterale Abkommen und machen einen großen Bogen um die bürokratische Organisation. Und auch der Freihandel hat sich seit Bestehen der WTO nicht stetig verbessert. Allein seit Ausbruch der Krise 2008 bis August 2013 führten die 20 größten Wirtschaftsnationen (G20) 1527 neue Handelshemmnisse ein, zählt die unabhängige Organisation Free Trade Alert. Mehr als die Hälfte davon erfanden 2009 übrigens die EU, Japan und die Vereinigten Staaten.

Lagerstände auf Rekordhoch

Dass Indien, Heimat von zwei Dritteln der Ärmsten der Welt, den Pakt gerade jetzt mit dem Hinweis auf die Ernährungssicherheit platzen lässt, ist dennoch überraschend. Denn selten war die Ernte so gut, die Getreidesilos so voll wie heuer. Anfang Juli bunkerte Indien etwa 21,1 Millionen Tonnen Reis und 39,8 Millionen Tonnen Weizen. Das ist mehr als doppelt so viel, wie die Regierung als Puffer zur Ernährung der armen Bevölkerung eingeplant hat. Gleichzeitig hat das Land den überhöhten Preis, den es den heimischen Bauern für Reis bezahlt, in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt.

Kritiker unterstellen Indien daher, dass die Regierung die Sorge um die Ärmsten nur vorschiebe, um den eigenen Bauern Vorteile auf dem Weltmarkt zu verschaffen. Denn wenn sie sich darauf verlassen können, ihre Ernte zu hohen Preisen an die Regierung verkaufen zu können, hebt das auch die Preise auf dem Weltmarkt. Im Vorjahr exportierte Indien mehr als zehn Milliarden Tonnen Reis ins Ausland und löste damit Thailand als weltgrößten Reisexporteur ab. Und auch die gewaltigen Lagerbestände der Regierung sind ein probates Mittel, um bei Überproduktion die Preise hoch zu halten.

Die FAO erwartet, dass 2014 die Lagerstände weltweit so hoch sein werden wie zuletzt vor neun Jahren. Dennoch stieg der Reispreis allein im Juli um fast sechs Prozent. Erst als Indien und Thailand angekündigt haben, mehr zu verkaufen, entspannte sich die Lage etwas. Indiens Regierung mag durch die Blockade innenpolitisch punkten, das Land selbst gewinnt so wenig wie die anderen armen Länder, für die Indien zu kämpfen vorgibt. Denn mit dem Scheitern der Bali-Runde sind auch die bestehenden Vorteile der reichen Staaten vorerst weiter einzementiert.

Schädliche Exportförderungen

Die Industrienationen stehen den Schwellenländern in Sachen Agrarsubvention nämlich um nichts nach. Immer noch fördern die EU und die USA ihre Bauern mit zig Milliarden Euro – und drängen so künstlich verbillige Nahrungsmittel(reste) auf die Exportmärkte in Afrika. Lokalen Bauern wird so jede Chance auf einen fairen Wettbewerb genommen. Noch drastischer sind die Auswirkungen auf die Länder bei direkten Exportförderungen. Das hat auch die WTO längst erkannt und 2005 die Abschaffung der Exportförderungen bis Ende 2013 beschlossen. Umgesetzt wurde dieser Schritt mangels eines weltweiten WTO-Abkommens bisher nicht. Erst der Pakt von Bali sollte den schädlichen Exportförderungen endlich den Garaus machen. Doch auch daraus wird vorerst wohl nichts werden.

Auf einen Blick

Im Dezember 2013 haben sich die 159 Mitgliedsländer der WTO auf das erste weltweite Handelsabkommen seit Bestehen der Organisation geeinigt. Das Abkommen hätte eine einfachere Zollabwicklung, den Abbau von Agrarsubventionen und eine bessere Einbeziehung der ärmsten Länder in den Welthandel vorgesehen.

Indien ließ den Deal nun platzen. Das Land besteht darauf, Subventionen für seine Reisbauern ewig fortführen zu dürfen. Nach dem Scheitern muss sich die WTO (schon wieder) der Existenzfrage stellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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