Balkan bangt vor Sanktions-Bumerang

Russia´s Central Bank As Russian Stocks Retreat
Russia´s Central Bank As Russian Stocks Retreat(c) Bloomberg (Andrey Rudakov)
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Viele südosteuropäische Staaten sind eng mit Russland verflochten. Auch die EU-Länder Bulgarien, Ungarn und Zypern sehen eine härtere Gangart gegenüber Moskau skeptisch.

Belgrad. Wenn zwei sich streiten, freut sich gerne der scheinbar unbeteiligte Dritte. „Russland-Sanktionen sind eine Chance für serbisches Obst“, titelte die Belgrader Tageszeitung „Politika“: Wegen des russischen Embargos für Agrar-Importe aus Polen sei nun mit dem verstärkten Export heimischer Äpfel nach Russland zu rechnen.

Um stolze 68 Prozent sind die serbischen Nahrungsmittelexporte nach Russland im ersten Halbjahr dieses Jahres gestiegen. Doch ob die Freude der serbischen Sanktions-Gewinnler noch lange währen wird, gilt selbst in Belgrad als zweifelhaft. Brüssel und Washington verstärken den Druck auf den mit Moskau nicht nur wirtschaftlich eng verbandelten EU-Anwärter, sich den härteren Sanktionen gegen Russland anzuschließen.

Serbien respektiere und unterstütze die territoriale Integrität der Ukraine, versichert Premier Aleksander Vučić. Aber aus „vielen politischen, wirtschaftlichen und historischen Gründen“ denke Belgrad nicht daran, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Sein Land sei genauso abhängig von russischen Gas-Importen wie von den Exporten seiner Agrarprodukte nach Russland: „Wir müssen unsere Wirtschaft und unsere politische Zukunft schützen: Ich hoffe, dass die EU die spezifische Situation versteht, in der sich Serbien heute befindet.“

Balkan an Moskaus Gas-Tropf

Mit seiner Sorge steht Serbien auf dem am russischen Gas-Tropf hängenden Balkan nicht allein. Ob in oder außerhalb der EU: Viele der wirtschaftlich eng mit Russland kooperierenden Staaten Südosteuropas fürchten die Folgen härterer Sanktionen gegen Moskau – und eine Eskalierung des Wirtschaftskriegs im Sog der Ukraine-Krise.

Wie Serbien ist auch Bulgarien von russischen Gasimporten abhängig. Und wie Belgrad haben Sofia, aber auch Budapest viel Hoffnung auf die von Moskau forcierte South-Stream-Pipeline vom Schwarzen Meer bis Norditalien gesetzt: Sollte das von der EU vorläufig ins Stocken gebrachte Projekt gar platzen, droht den Anrainern der Ausfall fest eingeplanter Transitgebühren in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr.

Während der Finanzplatz Zypern bei einem Abzug des russischen Kapitals eine neue Bankenkrise fürchtet, bangt Ungarn um den vereinbarten Zehn-Milliarden-Euro-Kredit Russlands zum Ausbau des AKW in Paks. Weitere Sanktionen seien „gegen die Interessen Europas und Ungarns“ gerichtet, warnte der mit seinem Amtskollegen Wladimir Putin sehr freundschaftliche Bande unterhaltende Premier Viktor Orbán im Juli.

Dem Druck der EU stehen für die Anwärter-Staaten nicht minder eindeutige Mahnungen Moskaus gegenüber. Serbien würde seine „nationale Identität und wirtschaftlichen Interessen aufgeben“, falls es mit der EU gemeinsame Sache mache, so Russlands Botschafter Konstantin Kosavac: Falls Serbien aber weiter zu Russland stehe, könne es mit Direktinvestitionen von fünf Mrd. Dollar (3,73 Mrd. Euro) und mehr Agrar-Exporten rechnen.

Wenig Verständnis in Brüssel

Mit einem Putin, der Premier Vučić an der Gurgel packt, sowie US-Präsident Barak Obama und Kanzlerin Angela Merkel, die gleichzeitig an dessen Füßen ziehen, umschreibt der Karikaturist der Zeitung „Danas“ die ungemütliche Lage Serbiens. Doch das Verständnis Brüssels für die Nöte der Balkan-Staaten scheint begrenzt. Von EU-Anwärter Serbien werde erwartet, bis zum Herbst „die Übereinstimmung mit der Außenpolitik der EU zu vergrößern“, überbrachte Italiens Außenministerin Federica Mogherini im Juli ein kaum verhülltes Ultimatum nach Belgrad.

Einige Balkan-Staaten beugen sich den Sanktionswünschen von EU und USA aus strategischen oder historischen Gründen klaglos. Trotz wütender Proteste Moskaus, das mit einem Touristenboykott und gar gen Podgorica gerichtete Raketen drohte, hat sich etwa EU-Anwärter Montenegro EU-Sanktionen angeschlossen – auch um die anvisierte Nato-Integration zu beschleunigen. Distanz zu Russland sucht das von eigenen Erdgasreserven zehrende Rumänien: Bukarest wirft Moskau die Destabilisierung der Schwarzmeer-Region und Druck auf Moldawien wegen der Annäherung an die EU vor.

Die eigene Bürgerkriegserfahrung ist wiederum der Grund, dass Kroatien die Sanktionen unterstützt, die das Blatt „Jutarnji List“ ein „notwendiges Übel“ nennt: „Die Auswirkungen wird auch Kroatien zu spüren bekommen. Aber wir müssen die Zähne zusammenbeißen. Denn wir wissen genau, wie es ist, wenn einem ein Teil des Landes genommen wird.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2014)

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