Streik: Wird er Piloten bald verboten?

Flugzeuge der Lufthansa am Flughafen Frankfurt / Airplanes of Lufthansa at the airport of Frankfurt
Flugzeuge der Lufthansa am Flughafen Frankfurt / Airplanes of Lufthansa at the airport of Frankfurt(c) www.BilderBox.com (BilderBox.com)
  • Drucken

In der Luft wie auf der Schiene: Minigewerkschaften von Funktionseliten legen mühelos das Land lahm. Nun will die Politik die Tarifeinheit erzwingen.

Berlin. Der halbtägige Streik der Piloten von Germanwings ist gerade vorüber, da steht den Deutschen der nächste Ärger schon ins Haus: Kommende Woche wollen die Lokführer der Deutschen Bahn die Züge zum Stehen bringen. In beiden Fällen vertreten kleine Spartengewerkschaften einige wenige Funktionseliten. Die arbeiten an Schaltstellen einer vernetzten Wirtschaft, können mit geringem Aufwand das Land fast stilllegen und die Bürger als Geiseln nehmen. Warum aber lassen Gesetzgeber und Justiz ihnen diese Macht?

Der Grund ist ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010. Davor galt jahrzehntelang die Praxis der „Tarifeinheit“: ein Unternehmen, ein Tarif. Wenn also in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften konkurrierten, konnte nur eine Löhne aushandeln und gesondert streiken – jene, die mehr Mitarbeiter vertritt. Die Kleinen waren damit de facto entmachtet.

In einer strengen Auslegung widerspricht das aber der „Koalitionsfreiheit“ im Grundgesetz – dem Recht, sich als Arbeitnehmer oder Unternehmer zur Wahrung seiner Interessen nach Belieben zusammenzuschließen. So sah es auch das Gericht. Die Arbeitgeber schlugen Alarm. Denn den Betrieben droht Chaos, wenn sie Mitarbeitern unterschiedliche Erhöhungen zahlen müssen, weil diese verschiedenen Gewerkschaften angehören. Zudem fürchten sie Rechtsunsicherheit, wenn sich Forderungen hochlizitieren und der Streit kein Ende nimmt. Sie forderten Schwarz-Gelb auf, die Tarifeinheit per Gesetz wiederherzustellen.

Es drohen Verfassungsklagen

Dem schlossen sich die großen Gewerkschaften zunächst an. Nur sie sind im Gewerkschaftsbund (DGB) organisiert. Ihnen hilft das Drohpotenzial streikender Funktionseliten – etwa der Müllmänner, um eine Lohnerhöhung auch für kleine Gemeindebedienstete durchzudrücken. Wenn jeder für sich kämpft, fürchten sie, geht die Solidarität verloren. Wie nun bei den Piloten im Lufthansa-Konzern: Sie fordern, wovon Kollegen am Boden nur träumen können – ein Plus, das höher ist als das gesamte Gehalt eines Check-in-Mitarbeiters.

Doch die Politik zögerte. Schließlich paktierten die Verhandler der Großen Koalition: Die Gewerkschaften bekommen ihren Mindestlohn und die „Rente mit 63“, die Arbeitgeber dafür die Tarifeinheit. Doch im Mai scherte der DGB aus: Er lehnt nun ein Gesetz ab, wenn es Tarifautonomie und Streikrecht einschränkt. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wollte den Entwurf noch vor der Sommerpause durchs Parlament bringen, nun peilt man den Herbst an. Juristen haben weiter Bedenken. Kleine Gewerkschaften (auch die Klinikärzte im Marburger Bund) drohen mit Verfassungsklagen.

Dahinter stehen verbürgte Freiheiten, die man in Österreich so nicht kennt. Heimische Unternehmer sind zur Mitgliedschaft in der Wirtschaftskammer, die Kollektivverträge verhandelt, verpflichtet. In Deutschland können sie den Arbeitgeberverbänden auch fernbleiben. Eine Zwangsmitgliedschaft von Arbeitnehmern zu einer Gewerkschaft ist zwar europarechtlich ausgeschlossen. Doch de facto hat der ÖGB einen so umfassenden Vertretungsanspruch – samt Tarifautorität – wie kaum eine andere Dachorganisation in Europa. Dass hierzulande jemand eine Gewerkschaft außerhalb dieses Daches gründet und mit dem Sanktus der Politik Löhne aushandelt, ist ein ziemlich theoretisches Szenario.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Lufthansa's German low-cost carrier Germanwings aircrafts are pictured on the tarmac at Berlin Tegel airport
International

Streiks bei Germanwings und Lufthansa am Wochenende möglich

Die Gewerkschaft Cockpit wollte eine Verlängerung des Ausstands nicht ausschließen. Der für Freitag befristete Pilotenstreit ist vorerst beendet.
Germanwings: Piloten streiken am Freitag
International

Germanwings: Piloten streiken am Freitag

Betroffen seien alle Germanwings-Flüge, die an deutschen Flughäfen von 6 bis 12 Uhr starten.
Pilotengewerkschaft und Lufthansa wollen verhandeln
International

Pilotengewerkschaft und Lufthansa wollen verhandeln

Am Donnerstag sollen die Gespräche zwischen Lufthansa und der Pilotengewerkschaft Cockpit wieder aufgenommen werden. Die Streikankündigung halten die Piloten aber aufrecht.
International

Piloten: "Wollen Lufthansa nicht drei Tage lahmlegen"

Man erwäge nun, an einzelnen Standorten kurzfristig - etwa für mehrere Stunden - in den Ausstand zu treten, informierte die Pilotengewerkschaft.
International

Deutschland: Streik liegt in der Luft

Die Piloten der Lufthansa drohen wegen der Abschaffung von Frühpensionsregeln mit Streik. Gleich tun es ihnen die Lokführer: Sie fordern von der Bahn höhere Gehälter.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.