Russland Sanktionen: „Ich sehe eher die Eskalation kommen“

Sergej Petrov
Sergej Petrov(C) EPA
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Der russische Milliardär Sergej Petrov ist derzeit ein einsamer Rufer aus dem sanktionierten Reich. Wie sich die Unternehmer dort fühlen und von wem Putin getrieben ist, hat er der „Presse“ erzählt.

Die Presse: Sagen Sie: Wie sehr spüren Sie und Ihr Unternehmen die Sanktionen des Westens?

Petrov: Wir spüren sie insofern, als die Wirtschaftsentwicklung, die einer Stagnation gleicht, negativ verstärkt wird. Und zwar wegen der psychologischen Unsicherheit. Der Automarkt verliert im Gesamtjahr möglicherweise bis zu 15 Prozent. Die Kunden verschieben ihre Käufe. Einige Firmen haben die Produktion vor ein paar Monaten eingestellt, andere verringert.

Kann man beziffern, wie groß der Anteil der Sanktionen an der allgemeinen Situation ist?

Was man sicher sagen kann, ist, dass sich die Kreditkosten erhöht haben. Im Schnitt von acht auf zwölf Prozent bei Rubel-Krediten.

Russland hat den Import von Agrarprodukten aus dem Westen gestoppt. Wie wirkt sich das aus?

Auf dem Land nicht so stark. Aber in Moskau ganz offensichtlich. Die Leute versuchen in ihrer patriotischen Stimmung jedoch zu beteuern, es mache ihnen nichts aus.

Experten sagen, die Leute würden die wirtschaftlichen Verschlechterungen erst in ein paar Jahren richtig spüren.

Ja. Wann und wie stark, wird aber von weiteren Maßnahmen abhängen. Schon die jetzigen Sanktionen werden die Kaufkraft verringern. Berechnungen zufolge um bis zu 20 Prozent binnen dreier Jahre. In sozialer Hinsicht ist das gefährlich.

Aber Faktum ist, dass Kreml-Chef Wladimir Putin innenpolitisch gewinnt, zumal er die Wirtschaftsflaute mit Sanktionen begründen kann. Kurzfristig agiert er also vernünftig, oder nicht?

Kurzfristig gewinnt er sicher. Langfristig habe ich aber meine Zweifel. So wie immer bei Putin: Taktisch ist er gut, strategisch nicht.

Sind die westlichen Sanktionen also zumindest kurzfristig unvernünftig, da sie Putin ja stützen?

Das würde ich so nicht sagen. Nimmt man als Hauptquelle der außenpolitischen Aggression nicht Putin, sondern das Volk, das ihn mit 87 Prozent unterstützt, so leidet es ökonomisch noch nicht. Um den Enthusiasmus und die Meinung dieser Mehrheit zu ändern, gibt es keine andere Kraft als die Wirtschaft. Putin befindet sich ja auch unter dem Druck dieser Masse. Es herrscht eine Wagenburgmentalität. Aber die Unterstützung wird genauso schnell zurückgehen, wie Wirtschaftsprobleme zunehmen.

Warum redet von den Großunternehmern derzeit so gut wie niemand mit den Medien?

Die meisten werden ihre jetzigen Probleme mit den Behörden einzeln lösen wollen. Allen ist klar, dass sie keinen starken Einfluss haben. Sie fürchten vielmehr, dass sie die Machthaber zu sehr reizen könnten. Historisch ist es bei uns so, dass es keinen Zusammenhalt gibt und die Unternehmer kaum Unterstützung im Volk haben. Im Zweifelsfall wird zu den Machthabern gehalten – zumal jetzt, wo Widerstand gefährlich sein kann.

Sie haben ja viel mit anderen Tycoons zu tun. Wie reagieren sie? Passen sie sich an? Bitten sie den Staat um Hilfe? Oder wächst der Unmut über die Entwicklung?

Der Unmut nimmt zweifellos zu, aber die Unternehmer sind sehr verschreckt. Alle versuchen, ihre Loyalität zu demonstrieren. Forderungen stellt niemand. Alle hoffen auf Verbesserungen. Aber es bestehen Zweifel. Sehen Sie sich nur die vielen Pleiten kleiner Firmen und die Finanzierungsprobleme an. Das fördert die Stimmung nicht.

Nun haben Sie selbst gemeinsam mit 13 weiteren internationalen Geschäftsleuten ein Ansuchen des britischen Milliardärs Richard Branson um ein Treffen mit Putin als Schritt zur Deeskalation unterschrieben. Ist das Unterfangen nicht sinnlos?

Es gibt Aussichten. Der Prozess hat erst angefangen und wird auch sehr langsam wachsen – je nach Zunahme der ökonomischen Schwierigkeiten. Die Anzahl der Unterstützer wird größer werden.

Sehen Sie mögliche Schritte in Richtung Deeskalation?

Ich sehe eher die Eskalation kommen, denn die Russen unterstützen das. Es wird keinen leichten Ausweg geben, denn man muss auch noch die in unserer Diplomatie schwach ausgebildete Fähigkeit zum Kompromiss berücksichtigen.

Zuletzt kam die Information, dass die Regierung den Importstopp auf den Autosektor ausweiten könnte. Ist das realistisch oder sind das leere Drohungen?

Im Bereich der Lebensmittel sind weitere Importstopps möglich. Aber das würde eine Verschlechterung der Qualität und eine Erhöhung der Preise bedeuten. Bei Autos ist einstweilen nur eine gewisse Substitution möglich. Theoretisch exerzieren wir das durch. Aber wie die Erfahrung im Iran zeigt, würde die Kaufkraft fallen. Eine starke Umorientierung nach China war zu dieser Zeit nicht zu beobachten.

Welche möglichen weiteren Importstopps werden an den Schaltstellen derzeit diskutiert?

Die unterschiedlichsten. Aber nachdem die Regierung nach dem Importstopp für Lebensmittel wieder Folgeschwierigkeiten lösen musste, wird man neue Importstopps wohl genauer durchdenken. Die Möglichkeit der Eskalation ist jedoch sehr wahrscheinlich, weil es keinen Ausweg aus der politischen Situation gibt. Alle gehen davon aus, dass wir keine Alternative hatten. Die Meinung ist: Man hat uns angegriffen, und wir verteidigen uns.

In gewisser Weise sehen wir jetzt Russlands Abschied vom Westen.

Das sehe ich als Akt der Eifersucht. Im Sinn von: Wir sind ja ebenbürtig. Man hört hier oft: „Warum dürfen die anderen und wir nicht? Wir sind auch eine Großmacht.“

Zumindest bei Lebensmitteln hat Russland nun neue Lieferanten aus anderen Schwellenländern. Verliert Europa hier Terrain?

Wenn das möglich wäre, hätte Russland das schon vor den Sanktionen gemacht. Aber es ist einfach teurer und qualitativ schlechter. Das Faktum, dass wir es erst jetzt tun, zeugt davon, dass wir es unter der Einwirkung der Euphorie und des Patriotismus tun. Es wird jetzt schnell gemacht, obwohl sogar die Logistik fehlt. Es ist eine psychologisch komfortable Show. Bislang wird die Sache quasi „studiert“, ich erachte sie als nicht ernsthaft.

DER AUTOR

Sergej Petrov (60) ist Gründer von Russlands größtem Autohandelshaus „Rolf“und wird von Forbes auf ein Vermögen von einer Mrd. Dollar taxiert. Der Ex-Fliegermajor sitzt für die Partei Gerechtes Russland in der Duma. Als einer von nur vier Abgeordneten stimmte er im März nicht für die Annexion der Krim. [ Igor Gavrilov ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2014)

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