Staatsreform: Für Wachstum braucht man keine Schulden

People walk on Zurich´s main shopping street Bahnhofstrasse
People walk on Zurich´s main shopping street Bahnhofstrasse(c) REUTERS (ARND WIEGMANN)
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Die Schweiz schafft Wachstum und Wohlstand ohne Riesendefizite. Warum nicht ein wenig beim Nachbarn kiebitzen?

Nehmen wir einmal an, die österreichische Regierung würde sich ernsthaft und mit konkreten Reformplänen unterfüttert vornehmen, die Steuer- und Abgabenquote auf rund 40 Prozent zu senken (also rund 16Mrd. Euro pro Jahr einzusparen), gleichzeitig ein ausgeglichenes Budget zu erreichen und konstant die Staatsschulden abzubauen.

Unmöglich, nicht? Das wäre ja totales Kaputtsparen. Die Konjunktur würde einbrechen, die Arbeitslosenrate hochschnellen und aus dem hoch entwickelten Sozialstaat würde eine neoliberale Wüste. Ist doch so, oder?

Gut, dann blicken wir einmal kurz über die Landesgrenze. Nach Westen. Dort, in der Schweiz, ist genau das Normalität: Die vergleichbare Steuer- und Abgabenquote (einschließlich der Zwangsbeiträge im Rahmen der Versicherungspflicht, die in den offiziellen Abgabenstatistiken nicht enthalten sind) liegt irgendwo bei 40Prozent des BIPs und damit um gut fünfeinhalb BIP-Prozentpunkte unter der Österreichs. Die Staatsschuldenquote liegt mit 45 Prozent des BIPs nur etwas mehr als halb so hoch wie die österreichische (81Prozent), und sie sinkt seit der (per Volksabstimmung) im Jahr 2003 eingeführten verpflichtenden Schuldenbremse. Der Bundeshaushalt kommt ohne nennenswertes Defizit aus.

Aber: Die Wirtschaft wächst (wenngleich auch die Schweiz unter der Konjunkturflaute leidet) permanent schneller als in Österreich, die Arbeitslosenrate ist niedriger, das Land liegt in allen wichtigen Rankings (Wirtschaftsstandort, Innovation etc.) weit vor Österreich. Und das Pro-Kopf-Einkommen ist auch währungsbereinigt deutlich höher.

Das bringt einige bei uns sehr hartnäckig verbreitete Dogmen ins Wanken. Zum Beispiel jenes, dass der Staat einfach mit Mehrausgaben die Wirtschaft ankurbeln kann. In Wahrheit zeigt das Beispiel Schweiz, dass es nicht darauf ankommt, wie viel man ausgibt, sondern wofür. Wenn man, wie die Eidgenossen, die Verwaltung schlank (aber effizient) hält und das Geld lieber in Forschung, Innovation und Ausbildung steckt, dann erzielt man eben eine entschieden höhere Standortqualität.

Ein anderes, hier sehr beliebtes Dogma zertrümmern die Eidgenossen auch noch: Bei gleichem gesetzlichen Pensionsantrittsalter (65) gehen Schweizer Männer im Schnitt mit 66,1 Jahren in Pension, Österreicher dagegen mit 61,9. Das macht ein paar Milliarden Euro Unterschied bei den Sozialausgaben – hat aber nicht die hierzulande an die Wand gemalten katastrophalen Arbeitsmarktauswirkungen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist dadurch nicht höher, oder wie es Gerhard Schwarz, Chef des Thinktanks Avenir Suisse, ausdrückt: „Alter verdrängt Jugend nicht.“

Schön, aber lässt sich dieses Modell in die schuldengeplagte Nachbarrepublik Österreich übertragen? Eins zu eins wohl nicht – da müsste man die Schweizer mit importieren. Denn zum nicht geringen Teil lassen sich die Differenzen in den Daten auch mit Mentalitätsunterschieden der Bevölkerung erklären. Die äußerst wirksame Schuldenbremse etwa ist von den Schweizern mit 80Prozent Zustimmung per Volksabstimmung beschlossen worden.

Allerdings ist diese Mentalität, mutmaßt zumindest Schwarz, nicht im Schweizer Boden gewachsen, sondern durch die spezielle Konstruktion des Schweizer Föderalismus entstanden: eine von unten nach oben gehende Machtstruktur mit finanzieller Eigenverantwortlichkeit (samt direktem Kostenbewusstsein) auf allen Ebenen – und damit, fügen wir hinzu, die direkte Antithese zur österreichischen Geldvernichtungsmaschine namens Bundesländer.

Diese Art der Zusammenführung von Einnahmen- und Ausgabenverantwortung sollte man auch hierzulande versuchen. Aber, wenn es geht, radikal und nicht, wie das jetzt von den Ländern angedacht ist, durch eine kleine Teilübertragung von Steuereinnahmenverantwortung, die die Verschwendungsmentalität nur beflügeln würde.

Wirtschaftsbund- und Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl hat sich das Schweizer System diese Woche bei einem zweitägigen Besuch näher angeschaut – und sich durchaus beeindruckt gezeigt. Sein Kurzresümee: „Man braucht nicht Schulden, um Wachstum zu erzeugen.“ Diese Erkenntnis ist insofern nicht ohne Relevanz, als Leitls Wirtschaftsbund neuerdings den Vizekanzler und den Finanzminister stellt und die Sozialpartner in der Regierung insgesamt gestärkt sind. Da könnte man, rein theoretisch, die anstehenden Reformen nicht nur fordern, sondern auch einmal den echten Willen zur Umsetzung entwickeln. Wobei ausländische Best-Practice-Modelle durchaus hilfreich sind. Leitl selbst ist ja schon ein wenig ungeduldig: Österreich habe bisher weder die Neuordnung der Systeme noch die Einführung einer Schuldenbremse geschafft. Und: „Wir haben drei Sparpakete hinter uns, und drei Mal ist uns versprochen worden, dass der Staat Reformen angeht. Wenn man jetzt beim vierten Mal wieder nur Einnahmendiskussionen führt, dann ist meine Geduld am Ende.“

Unsere ehrlich gesagt auch. Wenn die gestärkten Sozialpartner irgendeine Berechtigung haben wollen, dann treiben sie die Regierung jetzt in Reformen. Dass sich das auszahlt, können sie ja live im Nachbarland anschauen.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2014)

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