Die schöne neue Post-Lehman-Welt

The Lehman Brothers headquarters in New York
The Lehman Brothers headquarters in New York(c) REUTERS (BRENDAN MCDERMID)
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Staaten und Zentralbanken haben nach der Krise nicht die Wirtschaft gerettet – sondern bloß die Banken. Die Folgen: verzerrte Märkte und eine stockende Realwirtschaft.

Wien/New York. Es gehört zu den kaum hinterfragten Legenden unserer Zeit, dass wir (zumindest im Westen) in der bisher freiesten Form des Kapitalismus leben würden, die die Welt jemals gesehen hat. Schlimmer noch: in einer „turbokapitalistischen“, „neoliberalen“ Welt sogar. Aber seit vor genau sechs Jahren die Investmentbank Lehman Brothers pleite gegangen ist, gilt diese Weisheit nur noch sehr eingeschränkt. Von den Märkten ist nicht mehr viel übrig, seitdem Regierungen und Zentralbanken die Welt „gerettet“ haben. Stattdessen feiert der Interventionismus ein großes Comeback.

Denn Lehman Brothers war die einzige Großbank, die man hat pleite gehen lassen. In den USA und Europa wurden die „systemrelevanten“ Institute mit hunderten Milliarden an Steuergeldern wieder aufgepäppelt. Gleichzeitig hat man versucht, mit weiteren Geldspritzen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln – eine Idee, vor der wirklich liberale Ökonomen (nicht etwa „neoliberale“) schon damals gewarnt haben. Und der Erfolg?

Nun, Teil eins des Plans hat funktioniert: An den Börsen scheint alles wunderbar. Die Kurse stehen nahe ihrer Rekordhochs. Auch den Staaten scheint es gut zu gehen, selbst die Krisenländer Südeuropas dürfen sich über niedrige Zinsen auf ihre Schulden freuen. Aber warum bleibt dann die Arbeitslosigkeit hoch? Warum müssen die Wirtschaftsforscher ihre Konjunkturprognosen immer weiter zurückfahren? Und warum warnen renommierte Institutionen wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) schon vor dem nächsten Crash?

Ganz einfach: Weil der Krisen-Interventionismus die unheilige Allianz aus Großbanken und Staaten nur gestärkt hat. Man hat die Funktion des Marktes in der „Marktwirtschaft“ de facto eliminiert – in der Hoffnung, dass Realwirtschaft und Konsument sich von steigenden Börsenkursen beeindrucken lassen und selbst wieder investieren und konsumieren. Die Politik hat sinkende Kurse zum „Marktversagen“ erklärt, das es zu bekämpfen gelte. Dabei wäre genau das die Aufgabe des Marktes: Fehler müssen bestraft werden, nicht belohnt. Das Ergebnis: Die Volatilität, also die Abwechslung auf dem Markt, ist auf einem Rekordtief angelangt. Und genau das macht die Experten der BIZ nervös.

Die stetig steigenden Aktienkurse reflektieren ja nicht etwa echtes Wirtschaftswachstum, sondern vielmehr, dass die Kaufkraft der Währungen dank der extrem lockeren Geldpolitik rasch sinkt. Zwar ist der wichtige New Yorker Index S&P 500 seit Lehman um 58Prozent geklettert. Aber die „Hartwährung“ Gold ist eben im Vergleich zum Dollar in der gleichen Zeit um 61 Prozent im Wert gestiegen. So gesehen tritt die Wirtschaft höchstens auf der Stelle.

Kein Rettungsnetz für die Menschen

Das erklärt auch die nominale Diskrepanz zwischen Finanz- und Realwirtschaft. Denn den Arbeitern und Angestellten, den KMU, Familienbetrieben und Selbstständigen fehlt das Rettungsnetz, das Zentralbanken und Regierungen für die Finanzriesen gesponnen haben. Schlimmer noch: Sie müssen es mit ihren Steuern erst finanzieren und gleichzeitig mit sinkenden Reallöhnen leben.

Deswegen ist in der realen Welt von der schönen neuen Post-Lehman-Welt an den Finanzmärkten nicht viel zu spüren, deswegen purzeln die BIP-Prognosen und sogar die Inflationsraten. Denn die werden von den Energiepreisen getrieben – und die sinken wegen der fehlenden Nachfrage.

Dass die gewünschte „Ankurbelung“ der Realwirtschaft nicht funktioniert, wird aber nicht etwa als Versagen der Interventionen interpretiert, sondern den Kritikern in die Schuhe geschoben. Nach dem Motto: „Seht ihr, wir hätten noch mehr tun sollen!“ Und „mehr tun“ heißt im ökonomischen Neusprech der Post-Lehman-Welt immer nur eins: Geld drucken.

Denn andere Optionen gibt es nicht mehr: Die Staaten der westlichen Welt haben im wahrsten Sinne des Wortes ihren Kredit verbraucht. Inzwischen gibt es schon erste Ideen durchaus angesehener Ökonomen, das Zentralbankgeld doch direkt an die Bürger zu verteilen. Und zumindest einen Vorteil hätte diese Idee: So hätten wenigstens nicht nur Banken und Staaten etwas von der schönen neuen Welt nach Lehman Brothers.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2014)

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