Russland: Wenn Unternehmern der Geduldsfaden reißt

Russian PM Medvedev speaks during a session of the International Investment Forum 'Sochi-2014' in Sochi
Russian PM Medvedev speaks during a session of the International Investment Forum 'Sochi-2014' in SochiREUTERS
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Wenn Russlands Unternehmer einmal öffentlich ihren Unmut über die Behörden zu äußern beginnen, brennt wirklich der Hut. Ein Aufstand wird daraus kaum werden. Aber Anlässe dafür werden schon nahezu täglich geboten.

Wien. Es hätte ein erbauliches Investitionsforum werden sollen. Zwei Septembertage in der Olympia-Stadt Sotschi am Schwarzen Meer. Zwar nicht weit vom Konfliktzentrum Ukraine entfernt, aber doch den Blick auf die Zukunft gelenkt. Denn ungeachtet der westlichen Sanktionen sei „die Tür nach Russland für unsere westlichen Partner nicht geschlossen“, wie Russlands Premier, Dmitri Medwedjew, am Freitag in Sotschi erklärte.

Es tritt nur kaum jemand ein. Die zweite und dritte Garnitur von Konzernmanagern vertraten die erste. Nicht einmal aus China, dem nun umworbenen Wirtschaftspartner, ließen sich viele Wirtschaftsvertreter zu einer Teilnahme in Sotschi überreden. Und selbst die russischen Tycoons, die Gesichtswäsche betreiben mussten, hielten ihren Applaus für Medwedjew und Co. derart zurück, dass Betretenheit und Peinlichkeit herrschten.

Causa Jewtuschenkow erzürnt

Beim einen oder anderen ist offenbar das Maß voll und der Geduldsfaden gerissen. Nicht genug damit, dass das eigene Geschäft wegen der Verwerfungen mit dem Westen nur noch stotternd läuft und alles dem politischen Diktat unterworfen ist, haben die Unternehmer mit der dieswöchigen Attacke auf ihren Weggefährten Wladimir Jewtuschenkow die nächste Ohrfeige und einen Wink mit dem Zaunpfahl erhalten. Jewtuschenkow, Chef des Mischkonzerns Sistema, und mit geschätzten neun Mrd. Dollar Vermögen auf Platz 15 der russischen „Forbes“-Liste, ist am Mittwoch wegen des Verdachts der Geldwäsche beim Kauf des Ölkonzerns Bashneft unter Hausarrest gestellt worden. 2009 hat er Baschneft für 2,5 Mrd. Dollar aus den Händen von Fonds erworben, die mit den Vorbesitzern, dem Ex-Gebietsgouverneur Murtasa Rachimow und seinem Sohn Ural, verbunden waren. Letztere hatten Bashneft Jahre zuvor in ihren eigenen Einflussbereich privatisiert. Wegen des Verdachts krummer Machenschaften wollen die Ermittler nun übrigens eine Festnahme Ural Rachimows erwirken. Pikant: Er hat sich vor Jahren nach Österreich abgesetzt.

Dass nun Jewtuschenkow an seiner Statt unter Hausarrest steht, erklären sich Beobachter in Russland einhellig damit, dass sich der landesweit größte und staatliche Ölkonzern Rosneft und sein auf den westlichen Sanktionslisten stehender Chef, Igor Setschin, Bashneft unter den Nagel reißen will und Jewtuschenkow sich dagegen wehrt.

Die Solidarität der Eingeschüchterten

Auffällig und bemerkenswert aber ist die Unterstützung, die Jewtuschenkow nun erfährt. Die Causa sei eine „große Tragödie“, sagte gestern etwa Herman Gref, Chef der größten russischen Bank Sberbank. Die Auswirkung auf das Geschäftsklima fatal.

Gref war nicht der einzige Aufmüpfige. Selbst Wagit Alekperow, Chef des zweitgrößten russischen Ölunternehmens Lukoil, der sich bisher noch nie in vergleichbare Angelegenheiten eingemischt hatte, forderte die schnelle Freilassung Jewtuschenkos. „Heute erwarten alle mit Ungeduld die schleunige Lösung dieser Frage“, sagte Alekperow. Der russische Unternehmerverband war schon zuvor – ergebnislos – aktiv. Der international hoch angesehen Ex-Finanzminister Alexej Kudrin schloss sich gestern dem Protest an. Dass sich das Ganze zu einem Aufstand auswächst, ist wenig wahrscheinlich. Trotz allem nämlich gehe die Angst um, erklärt ein westlicher Manager in Russland im Gespräch mit der „Presse“: „Jeder weiß, dass er der Nächste sein kann, wenn Putins Umgebung das Kommando gibt. Und keiner versteht, warum die, von denen eigentlich die dringend nötigen Investitionen erwartet werden, Freiwild sind.“

Apropos Freiwild: Die Absicht der politischen Entscheidungsträger, sich alles Westlichen zu entledigen, hat diese Woche auch einen Entwurf für ein Gesetz hervorgebracht, mit dem der ausländische Besitzanteil an einheimischen Medien auf 20 Prozent beschnitten werden soll. Verlage wie Axel Springer, der unter anderem das Wirtschaftsmagazin „Forbes Russia“ herausgibt, müssten ab 2016 die Koffer packen. Nächste Woche berät übrigens der Sicherheitsrat über die Möglichkeit, das Land vom globalen Internet abzuschotten. Für den Fall von Ausnahmezuständen, heißt es.

AUF EINEN BLICK

Allein die Sanktionen lasten auf Russlands Unternehmen schwer. Vor allem der eingeschränkte Zugang zum westlichen Kapitalmarkt macht zu schaffen. Dass nun auch noch Putins Umgebung mithilfe der Behörden einen Privatunternehmer attackiert, löst neben Angst auch einen gewissen Mut bei den Wirtschaftsvertretern aus, sich gegen die Zustände aufzulehnen. Schließlich wird von den Unternehmern ja erwartet, dass sie im Land investieren und die maue Wirtschaft auf Touren bringen sollen. Inzwischen haben die Behörden übrigens ausländische Verlage im Fadenkreuz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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