Wenn der Berg ruft und Lifte antworten

(c) EPA (Urs Flueeler)
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Die Wintersaison naht und mit ihr die ewige Diskussion: Braucht man mehr Skilifte, um neue Urlauber anzulocken, oder soll man auf sanfteren Tourismus setzen? Ein Lokalaugenschein in Comelico und in der Skimetropole Ischgl.

Nein, schön sieht es hier am südlichen Ende von Sexten nicht aus. Eine lange, breite Erd- und Schlammstrecke schlängelt sich durch den Wald, links und rechts liegen vereinzelt ein paar gefällte Bäume, Bagger und Lastwagen stören. Einen Landschaftspreis wird die Gegend Helm-Rotwand nicht gewinnen. Aber die meisten Einwohner Sextens im Südtiroler Hochpustertal haben alles getan, damit es hier so aussieht, wie es jetzt aussieht.

„Die neuen Skilifte“, meint der Hotelier Erwin Lanzinger und zeigt mit der rechten Hand nach oben, „werden uns wieder mehr Gäste bringen, und davon profitieren alle im Ort.“ Die Hoffnung hegten auch viele andere Einwohner, als sie sich vor ziemlich genau einem Jahr mit Dutzenden Kettensägen bewaffnet in den Wald aufmachten und für einen ziemlichen Skandal in dem kleinen Tal sorgten.

Jahrelang hatte man um die Zusammenlegung der Skigebiete Helm und Rotwand gestritten, es gab Einsprüche und Beschwerden, Prüfungen, neue Prüfungen, Auflagen – und dann endlich kam ein vorläufiger positiver Baubescheid. Doch die Gegner legten wieder einen Einspruch ein – allerdings zu spät, die Gerichte hatten am Freitag bereits geschlossen.

„Jeder im Ort, der eine Kettensäge halten kann, ist gekommen“, erzählt ein Einheimischer. 70 Männer seien es gewesen, die in stundenlanger Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang recht kahle Tatsachen schufen. Als die Gerichte nach dem Wochenende wieder aufsperrten, waren zehn Hektar Wald gefällt. Der Platz, den man für Lift und Skiabfahrt benötigt.


Streit mit Umweltschützern. Zwar erließ das Gericht sofort einen Baustopp, die Bäume aber waren bereits umgeschnitten und am Ende wurde das Vorhaben auch genehmigt. Jetzt, im September 2014, sind die Bauarbeiten in vollem Gang, bald soll Schnee über der Skipiste und der ganzen Sache liegen, im kommenden Jahr werden schon Blumen und Gras wachsen, wo heute noch Erde und Schlamm die Landschaft beleidigen. Eine neue Wiese eben, wie so viele andere Wiesen auch, die die Liftgesellschaften im Alpenraum in den vergangenen Jahrzehnten künstlich geschaffen haben.

Es ist ein ewiger Streit zwischen Skigebieten und Umweltschützern: Die einen wollen neue Lifte und neue Abfahrten, um zusätzliche Gäste im Winter anzulocken. Die anderen wollen die Umwelt schützen und sicherstellen, dass nicht auf jeden Berg ein Lift und über jeden Hang eine Piste geht.

In Tirol ist deswegen sogar das Klima in der jungen Koalition zwischen ÖVP und Grünen belastet. Es geht um den Zusammenschluss der Skigebiete Schlick 2000 und Axamer Lizum über das Ruhegebiet Kalkkögel in den Stubaier Alpen. Die Grünen sind dagegen, die Volkspartei aber befürwortet das Vorhaben und will es im koalitionsfreien Raum im Landtag behandeln. Die FPÖ, die die politische Brandgefahr ahnt, hat der ÖVP bereits ihre Unterstützung zugesagt, weil man „sehr großes Potenzial“ für den Wintertourismus sehe.

„Wir machen das ja nicht zum Spaß oder nur, um Geld zu verdienen“, meint Franz Hörl, Obmann des Fachverbandes der Seilbahnwirtschaft und Geschäftsführer der Skiliftzentrums Gerlos. Man mache es auch für die Täler und die Menschen. Ein Job am Lift bringe vier, fünf weitere Jobs im Tourismus – „Kellner, Friseure, Putzfrauen, Verkäufer“. Den Wohlstand, den Tirol habe, verdanke es dem Tourismus, und „in erster Linie kommen die Menschen im Winter. Wenn wir das weiter haben wollen, dann sollten wir uns überlegen, wie wir für Skifahrer attraktiv bleiben können“. Und das bleibe man nur durch größere Skigebiete, also Zusammenschlüsse durch neue Lifte.

Besseres Angebot. „Der Weg geht nicht über neue Lifte“, ist dagegen der grüne Tourismussprecher Georg Willi sicher. Man könne durchaus darüber sprechen, „Anpassungen“ in manchen Skigebieten zu vorzunehmen – kleinere Erweiterungen würden teilweise durchaus sinnvoll sein. Aber der Gast wolle heute mehr, als nur über eine Piste zu fahren. „Er will Unterhaltung und Abenteuer, das muss man bieten. Der Ruf nach neuen Skiliften allein ist recht einfallslos.“

Unbestritten ist, dass die Seilbahnwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftszweig ist. Der Umsatz der 254 österreichischen Seilbahnen betrug in der Saison 2012/13 etwa 1,2 Milliarden Euro. Die Wintersportler generierten einen Bruttoumsatz von 5,6 Milliarden Euro, allein die Republik profitiert mit einem Umsatzsteueraufkommen von etwa 580 Millionen Euro.

Was die Zahlen in der Realität bedeuten, kann man sich im Tiroler Skiort Ischgl anschauen. Ein Kandidat für das Unesco-Weltkulturerbe für besonders schützenswerte, traditionelle Ortschaften ist die dicht verbaute Gemeinde zweifellos nicht. Aber den Menschen geht es dank der Liftanlagen, für deren Bau ein paar Einwohner 1964 ihre Ersparnisse zusammengelegt haben, wirtschaftlich hervorragend.

Jeder, der einen freien Raum hat, macht daraus ein Gästezimmer. Das beschert Einnahmen, und deshalb wollte auch noch nie einer der 270 privaten Teilhaber der Silvretta Seilbahn Aktiengesellschaft eine Dividende sehen. Stattdessen konnte man die üppigen Gewinne in hochmoderne Anlagen investieren – beachtliche 572 Millionen Euro seit 1978. Was immer neu und teuer ist, sieht man zuerst im Skigebiet Ischgl.

Man muss nur das neue Almgebäude für etwa 100 Kühe und drei Hirten anschauen, das die Agrargemeinschaft aus den Mitteln gebaut hat, die sie jährlich als Entschädigung von der Silvretta AG für die Wiesenbenützung im Winter erhält. Chalet-Besitzer in Verbier können auch nicht schöner wohnen. „Wir können auch deswegen noch Landwirtschaft betreiben, weil es bei uns Lifte gibt“, meint Alois Kurz. Er ist im Sommer Landwirt, im Winter betreibt er eine Skischule. Andere Nebenerwerbsbauern – insgesamt gibt es noch 60 – arbeiten klassisch bei der Liftgesellschaft, die den Bauern auch Fleisch, Käse und andere Produkte für ihre Restaurants abnimmt.

500 Mitarbeiter hat die Silvretta AG – bei insgesamt 1596 Einwohner in Ischgl. Da besteht im wahrsten Sinn des Wortes eine familiäre Verbundenheit. Die Liftgesellschaft finanziert auch viele Projekte, die sich der Ort nicht leisten könnte – von einem Parkhaus über Fußgängertunnel bis zu einem Kreisverkehr. „Wir sehen uns als Garant für die Existenz der Berglandwirtschaft und tragen auch eine Verantwortung für den Ort“, meint Liftchef Hannes Parth.


Abgewanderte Industrie. Wahrscheinlich wird man in ein paar Jahren auch den anderen Liftgesellschaften des Tals finanziell helfen müssen. Den kleineren Anlagen geht es alles andere als gut. Wenn sie zusperren müssen, gibt es keinen guten Grund mehr für Urlauber, etwa nach Kappl zu fahren. Dann droht dem Ort ein ähnliches Schicksal wie Comelico Superiore in Italien, das die Seilbahnwirtschaft gern als abschreckendes Beispiel herzeigt.

Dort hat man einst auf die Brillenindustrie statt auf Tourismus gesetzt. Als die Industrie abwanderte, brach die Wirtschaft zusammen. Die Menschen zogen weg, die Zahl der Einwohner sank von einst 4200 auf 2300. Heute kaufen Süditaliener billig Wohnungen und Häuser, um im Sommer vor der Hitze fliehen zu können. Sie machen schon die Hälfte der Einwohner aus. „Für das soziale Leben im Dorf ist das nicht gut“, sagt Bürgermeister Marco Staunovo Polacco. Es fehlten Mitglieder für die Dorfmusikkapelle und für Vereine, viele Häuser stünden leer. Der langfristige Plan ist eine Skiliftverbindung über den Berg nach Sexten. Das soll wieder für eine Belebung sorgen – wenn jemand risikobereit genug ist, dafür einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag bereitzustellen.


Problem Erwärmung. Also doch Liftanlagen, um kleine Seitentäler zu retten? In Sexten haben 2013 hundert Einwohner für den Bau der Verbindung Helm-Rotwand demonstriert. 30 Prozent mehr Touristen soll sie bringen, rechnet Hotelier Lanzinger vor. Auch Hörl glaubt, dass nur die Seilbahnwirtschaft abgelegene Ortschaften und Täler ohne wirtschaftliche Grundlage retten kann. „Was können die sonst machen? Was wäre denn das Zillertal, würde es keine Lifte geben?“

Für Georg Willi ist all das eine recht temporäre Diskussion. „Es wird bei uns immer wärmer, also muss man die Skigebiete weiter nach oben bauen, damit es noch kalt genug für die künstlichen Beschneiungsanlagen ist. Aber irgendwann wird Schluss sein, weil man nicht mehr weiter hinauf kann . . . “

Wintertourismus

Im Winter 2012/2103 gab es in Österreich 65,6 Millionen Nächtigungen (bei 16,7 Millionen Ankünften). Im Schnitt blieben die Urlauber 3,9 Nächte. Die Umsätze in der Saison lagen bei 12,1 Milliarden Euro.

Die Gäste übernachteten am liebsten in Vier- und Fünfsternehotels (35 Prozent der Nächtigungen) oder in Ferienwohnungen (23 Prozent). Den stärksten Zuwachs verzeichneten aber die Jugendherbergen (plus 13 Prozent). Dazu passt, dass die Menschen sparsamer wurden. Die Österreicher verzichteten im Jänner und Februar verstärkt auf Winterurlaub im eigenen Land.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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