Tesco suspendiert Topmanager nach falscher Gewinnprognose

Tesco Starts Accounting Probe After Profit Forecast
Tesco Starts Accounting Probe After Profit Forecast(c) Bloomberg (Simon Dawson)
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Der Aktienkurs der Supermarktkette Tesco stürzt auf den niedrigsten Stand seit elf Jahren ab. Analysten sind entsetzt.

London. Die größte britische Supermarktkette Tesco hat vier Spitzenmanager nach einer um 250 Millionen Pfund überhöhten Gewinnprognose suspendiert und eine Untersuchung eingeleitet. Das Unternehmen selbst sprach am gestrigen Montag von einer „ernsten Angelegenheit“. Demnach hat der Supermarktriese Einnahmen zu früh und Ausgaben verspätet verbucht. Der Wirtschaftsberater Deloitte wurde mit einer Buchprüfung beauftragt. Der Londoner Aktienhändler Marc Kimsey sagte: „Tesco ist kein verlässliches Investment mehr.“

Die Differenz in der Buchhaltung flog vor wenigen Tagen bei der Vorbereitung der Halbjahresergebnisse und der damit verbundenen Überprüfung der Gewinnwarnung vom 29.August auf. Damals hatte Tesco seine Ergebniserwartung für das erste Halbjahr 2014 auf 1,1 Milliarden Pfund Gewinn aus Handelsgeschäften zurückgenommen. Das bedeutete einen Gewinnrückgang von 46 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2013.

Die Londoner Börse reagierte gestern geschockt auf die neuen schlechten Nachrichten aus dem Hause Tesco. Der Aktienkurs fiel vorübergehend um mehr als elf Prozentpunkte auf den tiefsten Stand seit 2003 und stieg danach nur bescheiden auf ein Minus von acht Prozent. Ein Analyst des Stokebrokers Shore Capital sagte zu den Vorfällen: „Ich bin entgeistert.“

Druck durch Diskonter

Die jüngste Entwicklung ist aber nur ein weiterer Mosaikstein in der tiefen Krise des größten britischen Supermarktkonzerns mit mehr als 300.000 Mitarbeitern, mehr als 3300 Geschäften und einer Börsenkapitalisierung von über 20 Milliarden Pfund. Das 1919 von Jack Cohen als Marktstand in East London gegründete Unternehmen ist auf dem Heimatmarkt in die Zwickmühle geraten: Im Qualitätssegment verliert Tesco an höherpreisige Konkurrenten wie Waitrose, im unteren Preissegment setzen vor allem die deutschen Diskonter Aldi und Lidl den Platzhirschen gewaltig unter Druck.

Mit einem Marktanteil von zuletzt 28,7 Prozent liegt Tesco immer noch überlegen an erster Stelle, zugleich ist dies jedoch der niedrigste Wert seit zehn Jahren. Den höchsten Marktanteil hielt Tesco im Oktober 2007 mit 31,8Prozent. Das ist kein Zufall: Wenig später traf die globale Finanzkrise Großbritannien, und viele Kunden sahen sich angesichts fallender Reallöhne gezwungen, ihre Konsumausgaben zurückzufahren. Tesco, das sich bis heute nicht zwischen Hoch- und Tiefpreis entscheiden kann und weiter unter hohen Kosten beide Linien fährt, wurde davon besonders schwer getroffen.

Glücklose Expansion

Einen Ausweg sucht das Unternehmen in der Expansion nach Übersee, allerdings glücklos. Die Aktivitäten in den USA wurden im vergangenen April nach Milliardenverlusten abgegeben. Die Abschreibungen führten zum ersten Gewinnrückgang in 20 Jahren. Die Aktivitäten in Japan, China und Indien mussten mit lokalen Konkurrenten zusammengeführt werden, ein Abstoßen der Türkei-Operationen ist bisher nicht gelungen.

Die Krise hat Tesco auch gezwungen, Ende August eine Kürzung der Dividende um 75 Prozent zu verkünden. Zwar braucht das Unternehmen „jeden Pfund an Feuerkraft“, wie ein Analyst gesagt hat, um durch Investitionen und Expansion wieder auf die Wachstumsschiene zu kommen. Andererseits reagierten viele Anleger verärgert oder zogen sogar Konsequenzen: Der Fondsmanager Harris Associates, der einer der zehn größten Aktionäre von Tesco war, reduzierte seinen Anteil an dem Unternehmen Ende August von mehr als drei auf 1,4 Prozent und sprach von „zusammenhangloser Strategie“ und „unklarer Ausrichtung des Managements.“

Die Kette von Fehlschlägen kostete damals schließlich Konzernchef Philip Clark seinen Job, nach nur dreieinhalb Jahren an der Spitze des Unternehmens, in das er 40 Jahre zuvor als Handelslehrling eingetreten war. Kritiker warfen ihm Micromanagement vor, und zahlreiche Führungskräfte verließen den Konzern. Besonders pikant angesichts des aktuellen Skandals: Seit April hat Tesco keinen Finanzchef. Clarks Nachfolger Dave Lewis stieß Anfang des Monats von Unilever zu Tesco und sprach von einer „unmissable opportunity“. Nun sieht es freilich nach einer „mission impossible“ aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2014)

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