Alibaba. Noch nie ist bei einem Börsengang so viel Geld geflossen – und selten war ein Wertpapier zum Start so überbewertet.
Der chinesische Onlinehändler Alibaba hat, wie erwartet, bei seinem Börsengang in New York auch die Mehrzuteilungsoption ausgeübt und damit 25 Mrd. Dollar eingenommen. Das ist Weltrekord. Gratulation allen Profis, die das Papier zu 68 Dollar zugeteilt erhalten und gleich am ersten Börsentag wieder verkauft haben. 38 Prozent Gewinn an einem Tag ist nicht so schlecht. Beileid dagegen allen „Normalo“-Anlegern, die gegen jeglichen Expertenrat am ersten Tag an der Börse massenhaft um bis zu 99Dollar zugekauft haben – und am Abend schon auf einem saftigen Verlust saßen.
Sie haben – ja, was eigentlich erworben? Aktien nicht, die dürfen bei chinesischen Firmen von Ausländern nicht gekauft werden. Stimmrechtslose Aktienzertifikate (ADRs) schon eher. Die beziehen sich aber nicht auf das operative Online-Unternehmen Alibaba, sondern auf eine auf den karibischen Cayman Islands domizilierte Alibaba Group Holding, der genau genommen gar nichts gehört. Außer ein Vertrag auf einen Anteil an den Alibaba-Gewinnen.Genau genommen ist auch diese Konstruktion (wiewohl schon von einigen chinesischen Unternehmen gewählt) in China illegal, denn jegliches ausländisches Investment in chinesische Internetunternehmen ist Ausländern definitiv verboten. Vermeintliche Aktionäre (die ja keine echten Unternehmensanteile halten) sollten bei Rechtsstreitigkeiten mit „ihrem“ Unternehmen also eher nicht glauben, sie könnten sich an ein chinesisches Gericht wenden.
Was aber ohnehin sinnlos wäre, denn in China gehört ihnen ja definitiv nichts: Das operative Unternehmen, an dem Alibaba-„Aktionäre“ glauben, beteiligt zu sein, gehört zu fast 100 Prozent den beiden Gründern Jack Ma und Simon Xie.
Das ist insofern ein Problem, als die beiden schon einmal bewiesen haben, dass sie sich um ihre Mit-„Aktionäre“ reichlich wenig scheren: 2011 hat Ma den Online-Zahlungsdienst Alipay aus Alibaba herausgelöst und selbst übernommen. Mit der Begründung, ausländische Investoren (in diesem Fall die Alibaba-Miteigner Yahoo und Softbank) dürften an chinesischen Zahlungsdiensten nicht beteiligt sein. Das US-Magazin „Forbes“ schließt daraus, Jack Ma habe damit eindrucksvoll gezeigt, dass er nicht davor zurückschrecke, ausländische Investoren mithilfe chinesischer Gesetze eiskalt auszunehmen.
Allerdings: Normale Kleinaktionäre stoßen sich normalerweise nicht an mangelnden Mitspracherechten. Sie wollen ja nicht das große Wort bei Hauptversammlungen auf fernen subtropischen Eilanden führen, sondern ordentlich Dividenden und Kursgewinne einheimsen.
Womit wir bei der Bewertung sind: Zum Schlusskurs des ersten Börsentages war Alibaba de facto mit rund 230 Mrd. Dollar bewertet. Das ist das 28-Fache – nein, nicht des Gewinns, sondern des Umsatzes. Das nennt man ambitioniert! Selbst angesichts des Faktums, dass der Gewinn des Unternehmens relativ hoch liegt (bei mehr als der Hälfte des Umsatzes), muss ein derartiges Kursniveau erst einmal durch die künftige Geschäftsentwicklung gerechtfertigt werden. Amerikanische Analysten haben vorgerechnet, dass selbst die für 2034 angepeilte Vervielfachung des Geschäfts auf Basis des derzeitigen Aktienkurses immer noch ein Kurs-Umsatz-Verhältnis von nahezu fünf ergäbe. Fundamental ist das Langfristpotenzial für den Kurs des Alibaba-Zertifikats also auch bei optimistischen Wachstumsannahmen doch sehr begrenzt.
Aber: Wenn es schiefgeht, ist das ohnehin egal. Denn der Alibaba Group Holding gehört ja nicht viel mehr als ein Kontrakt über Anteile am Gewinn der echten Alibaba. Und dass sich Ma nicht viel um „Aktionäre“ schert, hat er auch an der Börse schon gezeigt: Alibaba war schon einmal börsenotiert. In Hongkong. Von dort hat sich Ma, als es nicht so toll lief, einfach wieder zurückgezogen, und die Aktionäre zum Emissionspreis abgefertigt. Vielleicht hatte die Börse Hongkong auch dieses Faktum (und nicht nur die intransparente Alibaba-Struktur) im Auge, als sie Ma den Wunsch, Alibaba wieder in Hongkong zu listen, abschlug.
Langfristaktionäre müssen also wissen, worauf sie sich einlassen – und dass die Angelegenheit nach gewaltiger Blase à la Dot.com-Bubble aussieht. Ein Investment wert ist das, wie schon in der „Presse am Sonntag“ ausgeführt, wohl nur für hart gesottene Trader. Die werden damit noch schöne Gewinne einfahren. Auch dann, wenn das Papier, wie an der Börse nicht unüblich, den Emissions-Gap schließt – und wieder in Richtung Emissionskurs geht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2014)