Rocket, die Wunderwaffe im Internet

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Deutschlands einziger Netzkonzern von (schlechtem) Weltruf ist an der Börse. Für ihre aggressiv wachsende Start-up-Fabrik werden die Samwer-Brüder bewundert und gehasst.

Wien. Erst das Ei, dann die Henne: Am Donnerstag hat Zalando sein Börsendebüt in Frankfurt. Nur einen Tag später folgt die Start-up-Schmiede, die den Online-Modehändler ausgebrütet hat: Rocket Internet. Es ist der größte deutsche Börsengang seit sieben Jahren. Gut 1,6 Mrd. Euro dürfte das Berliner Beteiligungsunternehmen durch neue Anteile einnehmen. Hochgerechnet ergibt das einen Wert von 6,7 Mrd. Euro – mehr als die Lufthansa. Eine riskante Wette auf eine Firmenfabrik, die jeden Monat eine Neugründung ausrollt und damit bisher nur Verluste anhäuft. Und damit auch auf den einzigen deutschen Internetkonzern von Weltruf – wobei dieser nicht der beste ist.

Oft wird geklagt: Aus Deutschland (oder Europa) ist noch kein Google, kein Facebook gekommen. Stattdessen gibt es hier die Samwers: drei smarte Brüder um die 40, die aus der Not der fehlenden Ideen etwas machen, was sie Tugend nennen. Sie klonen die Erfolge anderer – und schaffen es, mit unheimlichem Ehrgeiz und Fleiß, das Original rasch zu übertrumpfen. Heute arbeiten in den Firmen auf fünf Kontinenten, an denen Rocket Anteile hält, 20.000 Mitarbeiter. Von Indonesien bis Brasilien, von Russland bis Südafrika – noch globaler geht es kaum.

Mit Klonen zum Erfolg

Ein weiter Weg vom Kreuzberger Hinterhof. Dort gründeten Marc, Oliver und Alexander Ende der Neunzigerjahre Alando, einen Klon von eBay. Es folgten die Klingeltöne von Jamba, nach japanischem Vorbild. StudiVZ ahmte Facebook nach. Citydeal ließ sich von Groupon inspirieren. Später scheiterte so manche Gründung. Aber da hatten die Samwers ihre Anteile längst mit sattem Gewinn verkauft, oft ans Original. Auf der Strecke blieben düpierte Erfinder und Investoren, die sich über den Tisch gezogen fühlten. Feinde machten sich die Samwers auch unter Mitarbeitern, die dem Erfolgsdruck nicht standhielten. Legendär sind die Tobsuchtsanfälle von Oliver, dem mittleren und Mastermind der drei. Berliner Gründer raunen über das raue Betriebsklima, ausbeuterische Vorgaben und moralische Fehltritte. Manches mag auch dem Neid darüber entspringen, dass Rocket hundertfach gelingt, woran andere bei nur einem Versuch scheitern.

Denn das Konzept läuft seit 2007 wie vom Fließband – über den Inkubator Rocket Internet. Längst geht es um die Marktführerschaft in Ländern rund um die Welt. Kleine, schlagkräftige Teams sind in der Lage, ein Start-up in vier bis sechs Wochen auszurollen. Das beeindruckt Investoren an der Börse. Die Emission ist überzeichnet.

Für die Börsianer zählt eine plausible Story: Neue US-Unternehmen konzentrieren sich lang auf ihren riesigen, kaufkräftigen Heimmarkt – und vernachlässigen die boomenden Schwellenländer in Lateinamerika, Asien und Afrika. Das schafft ein Zeitfenster, das geschickte Nachahmer wie Rocket Internet nutzen können. Die „Seriengründer“ wählen nur solche Konzepte, die sie überall ähnlich umsetzen können – vor allem im Onlinehandel. Die Anforderungen am Start sind immer die gleichen: Personal suchen, die Reihung in den Suchmaschinen optimieren, Werbeplätze buchen.

Großes Wissen, große Verluste

Wer das bei rund hundert Unternehmen geübt hat, sammelt Expertise, wird schneller und tut sich leicht, Prozesse zu optimieren. Immer geht es darum, die Nummer eins auf dem Markt zu werden – die einzige Position, die zählt. Dass dabei viel Geld verbrennt, verwundert nicht: Erfolgreiche E-Commerce-Unternehmen brauchen im Schnitt sieben Jahre, bis sie profitabel sind. Das Ziel: Rocket soll die „größte Internetplattform der Welt außerhalb der USA und China“ werden. Oder, wie es Oliver Samwer einmal in einem E-Mail an seine Führungstruppe schrieb: „Ich bin der aggressivste Mann im Internet auf dem Planeten. Ich werde sterben, um zu gewinnen, und ich erwarte von euch dasselbe!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2014)

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