Kiew straft seine Freunde

Ukrainian national flags, flags of Ukrainian trade unions and EU flag are seen during  a mass rally in front of the Ukrainian cabinet of ministers building in Kiev
Ukrainian national flags, flags of Ukrainian trade unions and EU flag are seen during a mass rally in front of the Ukrainian cabinet of ministers building in KievREUTERS
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Die Ukraine lässt westliche Firmen kaum noch Devisen ins Ausland überweisen. Das untergräbt nicht nur Geschäftskontakte. Es widerspricht auch dem Investitionsschutzabkommen.

Wien. Während sich der Westen mit Russland wegen der Ukraine-Krise in einer destruktiven Sanktionsspirale befindet, wird er nun absurder- und unerwarteterweise von der Ukraine, auf deren Seite er sich geschlagen hat, abgestraft. Nicht aus geopolitischen Differenzen zwar, aber um nichts weniger empfindlich, wiewohl die Öffentlichkeit bisher keine Notiz davon genommen hat. Konkret geht es darum, dass die Ukraine neulich wieder an ihrem ohnehin restriktiven Devisenrecht geschraubt hat und jenen westlichen Unternehmen, die noch im Land aktiv sind und allenfalls Überschüsse erwirtschaften, Gewinnmitnahmen verunmöglicht. Und damit allem Anschein nach gegen das bilaterale Investitionsschutzabkommen mit Österreich – aber beispielsweise auch mit Deutschland – verstößt.

Am 4. Oktober traten die von der ukrainischen Nationalbank vorgenommenen Änderungen in Kraft. Ihr gemeinsamer Nenner: Wegen der angespannten Finanzsituation sollen nach Möglichkeit überhaupt alle Devisen, die jemals im Land gelandet sind, nicht mehr abfließen dürfen. Zu diesem Zweck wurden nicht nur An- und Verkäufe von Devisen beschränkt, sodass beispielsweise alle Deviseneingänge (also etwa auch Darlehensfinanzierungen der ukrainischen Töchter ausländischer Unternehmen) ohne Zustimmung des Kunden in der Höhe von 75 Prozent durch die Bank zwangskonvertiert werden, was Spesen und Kursverluste mit sich bringt. Ab sofort ist auch eine ganze Reihe von Transaktionen verboten.

Firmen verlieren Geld

Neben dem Verbot, Gewinnausschüttungen an nicht in der Ukraine ansässige Personen vorzunehmen, gilt am eklatantesten eine Neubeschränkung bei der Löschung von Verbindlichkeiten im Ausland: Untersagt sind demnach Zahlungen für Waren und Dienstleistungen, die vor mehr als 180 Tagen geliefert oder erbracht worden sind. Mit anderen Worten: Hat eine Firma Ratenzahlungen vereinbart, hat sie nach 180 Tagen bei noch offenen Raten das Nachsehen. Oder streckt die ausländische Mutter Verbindlichkeiten, um so nach üblicher Methode die Tochter in der Ukraine zu finanzieren, ist das Geld nach 180 Tagen für immer verloren. „Die Maßnahmen greifen in jede Sicherheit im Zahlungsverkehr ein“, sagt Wilfried Serles, Geschäftsführer des Wirtschaftsprüfers Interbilanz in Kiew, zur „Presse“. „Damit nicht genug, verstoßen die Maßnahmen auch gegen das Investitionsschutzabkommen zwischen Österreich und der Ukraine.“ Zwar seien die Restriktionen bis Anfang Dezember befristet: „Aber wenn man sich jetzt nicht wehrt, ist eine Verlängerung der Frist nicht ausgeschlossen.“

Regierung ist im Bilde

Das sieht man in der österreichischen Regierung offenbar ähnlich. Wie „Die Presse“ aus Regierungskreisen erfuhr, „hat eine erste Abschätzung ergeben, dass die Maßnahmen problematisch erscheinen und sie dem bilateralen Investitionsschutzabkommen widersprechen“. Das Wirtschaftsministerium seinerseits „kennt das Problem“, wie Volker Hollenstein, stellvertretender Pressesprecher, erklärt, „und wird mit dem Außenministerium in Kontakt treten“.

Formal nämlich muss das Außenministerium für den Fall, dass sich die Verletzung des seit 1997 wirksamen Investitionsschutzabkommens bestätigt, bei den ukrainischen Behörden aktiv werden. Unabhängig davon können Firmen auch im Alleingang vor ein internationales Schiedsgericht ziehen.

Wirtschaft ist aufgebracht

Wie schnell auch immer die Mühlen der Politik mahlen: In der Wirtschaft ist man aufgebracht. „Bei manchen Unternehmen geht es um Millionen von Euro, die nicht ausgeschüttet werden können“, sagt Serles. „Eine Reihe von österreichischen Firmen hat zuletzt besorgt bei uns angefragt“, erklärt auch Hermann Ortner, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Kiew: „Schon so haben es Exporteure derzeit hier nicht leicht. Die neuen Regeln sind sehr erschwerend.“

Über 20 österreichische Firmen haben Produktionen in der Ukraine laufen, einige hundert weitere exportieren regelmäßig oder sporadisch. Das Geschäft läuft in diesem Jahr mau: Die ukrainische Wirtschaft wird um voraussichtlich sieben Prozent schrumpfen, die Währung Hrywnja hat seit Jahresbeginn um über 50Prozent abgewertet, der Konflikt mit Russland schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Land und seiner Wirtschaft.

„Sollten die verschärften Devisenmaßnahmen über den Dezember hinaus weiter bestehen, ist es fraglich, ob neue Geschäfte zustande kommen“, so Ortner: „Die Firmen müssten auf Sofortzahlung oder Vorauskasse übergehen, wofür aber die Kapitaldecke der ukrainischen Unternehmen zu dünn und die Refinanzierungsmöglichkeiten zu schwierig sind.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2014)

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