Felderer: „Spanier und Griechen sind besser als wir“

Bernhard Felderer
Bernhard FeldererDie Presse
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Interview. Nach Südeuropa müsse auch Österreich sich auf die Wettbewerbsfähigkeit konzentrieren, sagt Ökonom Bernhard Felderer. Die Steuerdebatte sei vom Neid getrieben – dabei könne der Staat durchaus sparen.

Die Presse: Steht die Wirtschaftswelt Kopf? Die früheren Sorgenkinder Spanien oder Portugal reüssieren, in Österreich und Deutschland fürchtet man bereits wieder die Rückkehr der Rezession.

Bernhard Felderer: Die Spanier und die Portugiesen sind wieder auf den Beinen. Die Portugiesen und Griechen, denen wir scharfe Programme aufgezwungen haben, sind besser unterwegs als wir. Spanien hat ein Wachstum von zwei Prozent. Nicht, weil sie Hilfen bekommen, sondern weil sie besser exportieren. Sie sind wettbewerbsfähig geworden. Natürlich haben diese Länder auch viele Probleme noch nicht gelöst – etwa den Arbeitsmarkt und den Bankensektor.

Spanien wird wieder wettbewerbsfähig und in Österreich sinkt die Produktivität dramatisch.

Das ist eine beunruhigende Entwicklung. Unsere Produktion steigt nicht einmal mehr um ein Prozent pro Jahr. Was geschieht, wenn die Bevölkerung nicht mehr wächst, wenn die Zahl der Arbeitskräfte sinkt? Ich fürchte, dass dann Verteilungskämpfe ganz anders aussehen werden als heutzutage.

Aber Produktivität hat vor allem mit Innovation und Investition zu tun. Das zeigen uns wieder einmal die US-Amerikaner vor.

Die Investitionen von heute sind bekanntlich die Arbeitsplätze von morgen. Das hat schon Helmut Schmidt gesagt.

Andere sagen hingegen, dass dieses Kapital vor allem Maschinen schafft, die Jobs vernichten.

Das passiert ja seit 30 Jahren. Die österreichische Industrie wären ohne Automatisierung schon längst aus dem Markt geflogen. Und dann gäbe es heute null Arbeitsplätze. Die Industrie hat in den vergangenen Jahren trotzdem Jobs geschaffen in Österreich. In vielen anderen Ländern hat sie tatsächlich Arbeitsplätze verloren.

Und weniger Schwer- und mehr Kopfarbeit kann man auch als Fortschritt definieren.

Ich finde auch, dass das in Ordnung ist. Wir haben ein immer angenehmeres Leben, immer mehr Menschen müssen nicht physisch schwer arbeiten, das ist eine Entwicklung, die wir begrüßen müssten. Aber in Krisenzeiten wie jetzt sehen wir auch, dass diese Entwicklung nicht immer einfach ist – deshalb steigt auch die Arbeitslosigkeit.

Man könnte auch sagen: In Österreich gab es noch nie so viele Beschäftigte bei gleichzeitig noch nie so geringer Arbeitszeit.

Ja, man kann das mit früher nicht vergleichen. Die Generationen davor haben – insbesondere nach dem Krieg – regelrecht geschuftet. Danach mündete die steigende Produktivität in mehr Freizeit und mehr Einkommen.

Obwohl das mit dem Einkommenszuwächsen heute nicht mehr stimmt.

Das Wachstum ist gering und der Staat greift kräftig zu. Und das muss sich ändern.

Ihr Kollege Piketty meint, der Staat müsse bei Vermögenden kräftiger zugreifen.

Die Besteuerung einer Substanz ist ein Riesenproblem. Denn wenn eine Substanz, also etwa ein Industriebetrieb, ein paar Jahre keinen Gewinn abwirft, entspricht dessen Besteuerung de facto einer Enteignung. Und das ist die Folge? Man gefährdet Arbeitsplätze.

Aber am Anfang aller Steuern standen doch sogenannte Substanzsteuern, also etwa Steuern auf Grund und Boden.

Ja, damit wären wir wieder im Mittelalter. Damals gab es ja noch keine Buchhaltung. Aber mittlerweile – so hoffe ich – sind wir doch etwas weiter fortgeschritten.

Mit anderen Worten: Vermögenssteuern wären für Sie ein Rückschritt ins ökonomische Mittelalter.

Das wäre ganz klar ein Rückschritt. Und im Übrigen: Vermögenssteuer von privaten Haushalten wird in Europa nur noch in Frankreich eingehoben. Die Erbschaftssteuer gibt es in den meisten europäischen Ländern nicht mehr.

Die Grundsteuer ist doch auch eindeutig eine Substanzsteuer.

Ja, aber Grundstücke steigen normalerweise im Wert. Und dieser Wertzuwachs, der ohne Zutun erzielt wird, wird besteuert. In anderen Ländern übrigens viel höher als in Österreich. Und das könnte auch ein Ansatzpunkt für den Kompromiss sein, den die Regierung im Zuge der Steuerreform ausarbeiten wird.

Aber damit allein finanziert man keine Steuerreform. In Japan wurde ungeniert die Mehrwertsteuer erhöht. Wäre das nicht die simpelste Form der Gegenfinanzierung?

Im Grunde geht es immer um die Frage: Wer zahlt die Steuern letzten Endes?

Immer der Konsument.

Das wäre auch meine Antwort gewesen. Die Steuer wird immer überwälzt. Zu glauben, dass die Bankenabgabe von den Banken gezahlt wird, ist im höchsten Grade naiv. Deshalb haben ökonomische Theoretiker immer geraten, man sollte auf eine generelle Konsumsteuern übergehen.

Warum geschieht das nicht?

Weil eine andere ökonomische Theorie besagt, dass das Verhalten der einzelnen Wirtschaftssubjekte am wenigsten verändert wird, wenn der Staat die Steuern breit auf die verschiedensten Aktivitäten verteilt.

Und eine höhere Mehrwertsteuer würde vor allem Niedrigverdiener belasten.

Wenn man das kurzfristig betrachtet, dann stimmt das. Über den Lebenszyklus betrachtet – das ist statistisch nachgewiesen – werden über 90 Prozent des Lebenseinkommens verbraucht. Es bleibt am Ende also relativ wenig übrig. Bei einem Großteil der Menschen bleibt gar nichts übrig, bei einem kleinen Teil bleibt viel übrig, weil etwa industrielles Vermögen da ist. Die einzige Möglichkeit, sich der Mehrwertsteuer zu entziehen, ist, wenn man etwas vererbt. Und die einzige Argumentation jenseits von nebulosen Gerechtigkeitsvorstellungen für eine Erbschaftssteuer ist, dass sie der Ersatz für eine Mehrwertsteuer ist. Denn jeder, der etwas erwirbt, muss Mehrwertsteuer zahlen. Und in diesem Fall erwirbt jemand etwas von einem Toten.

Unglaublich! Bernhard Felderer argumentiert für die Erbschaftssteuer.

Keineswegs. Natürlich wünsche ich mir die Erbschaftssteuer nicht wirtschaftspolitisch herbei. Aber ich ärgere mich über die Begründungen für die Erbschaftssteuer. Mehr als Neid war bisher nicht zu hören. Dabei gäbe es zumindest ein rationales Argument. Nämlich: Erbschaftssteuer ist ein Ersatz für die Mehrwertsteuer.

Und wer ein Familienunternehmen „erbt“, kann künftig die Erbschaftssteuer gleich beim Konkursrichter abführen. Oder?

Man braucht sich das nur in Deutschland anzusehen. Dort gibt es natürlich Ausnahmeregelungen. Aber ich bin ja ohnehin der Meinung, dass wir die Senkung der Gesamtlohnnebenkosten – nicht nur der Lohnsteuer – über Reformen erreichen müssen. Wir sind ja bei der Abgabenquote auf einem der vordersten Plätze. Es gibt so viele Möglichkeiten zu kürzen. Und da meine ich nicht das Bundesheer. Ich meine Bereiche, wo wir recht freihändig Geld ausgeben. Bei den Förderungen. Oder bei den Pensionen. Wir haben die geringste Lebensarbeitszeit.

Also der Staat muss zuerst bei sich sparen und nicht beim Bürger.

Ja.

Und wie war das noch einmal mit der Erbschaftssteuer?

Sagen Sie ja nicht, der Felderer ist für die Erbschaftssteuer. Das bin ich nicht.

ZUR PERSON




Bernhard Felderer
ist seit November 2013 Präsident österreichischen Fiskalrates. Er leitete mehr als zwei Jahrzehnte das Institut für Höhere Studien. In dieser Zeit beriet er mehrere Regierungen und Ministerien. [ Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)

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