Die Lufthansa-Piloten weiten ihren Streik auf die Langstrecke aus. Den Grund für den seit Monaten schwelenden Kampf schufen sie selbst: Sie erstritten sich das Recht, länger zu arbeiten.
Wien. 2150 Flüge und mehr als 200.000 Passagiere sind nach Angaben der Fluglinie vom Streik der Lufthansa-Piloten betroffen. Wie berichtet, legen die Piloten von gestern, Montag, bis heute, Dienstag, 23:59 Uhr die Arbeit auf allen Flügen der Kurz- und Mittelstrecke nieder. Zudem wollen sie ab heute auch Flüge der Langstrecke bestreiken. Die Lufthansa veröffentlichte am Montag daher bereits einen neuen Sonderflugplan auf ihrer Homepage, auf dem Passagiere einsehen können, ob ihr Flug doch geführt werden kann. Denn mithilfe von freiwilligen Piloten, Piloten aus dem Management sowie anderen Fluglinien innerhalb des Konzerns konnte die Lufthansa am Montag 700 der betroffenen Flüge trotzdem durchführen und 70.000 Passagiere an ihr Ziel bringen.
Angespannte Stimmung
Dennoch ist die Stimmung im Lufthansa-Management mehr als angespannt. So meinte Lufthansa-Vorstand Simone Menne: „Die Streiks verursachen nicht nur einen großen direkten wirtschaftlichen Schaden, sondern auch einen Imageschaden für Lufthansa mit erheblichen und heute noch nicht absehbaren Folgen. Es ist nicht mehr nachvollziehbar, warum sich die Vereinigung Cockpit so kompromisslos einer Lösung des Tarifkonflikts versperrt.“ In Summe beziffert die Lufthansa die Kosten für den seit Monaten schwelenden Arbeitskampf, in dessen Rahmen nun zum achten Mal gestreikt wird, bisher auf 70 Mio. Euro. Nicht eingerechnet sind darin jedoch Einbußen beim Vertrauen von Passagieren und Investoren. Am Montag gaben die Aktien der Fluggesellschaft erneut deutlich nach. Laut Analysten sei es nicht mehr sicher, ob die Lufthansa heuer das selbst gesteckte Ziel eines operativen Gewinns in Höhe von einer Milliarde Euro erreicht.
Die Pilotengewerkschaft Cockpit sieht die Streiks jedoch als notwendig an. „Wir weiten den Streik aus, um ein deutlicheres Signal zu setzen – vielleicht schwenkt die Lufthansa jetzt endlich ein“, so Markus Wahl, Vorstand von Cockpit. Die Kleingewerkschaft vertritt nur die 5400 Piloten der Fluglinie. Da diese jedoch an einem neuralgischen Punkt sitzen, können sie den gesamten Flugverkehr in Deutschland lahmlegen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Bei diesen geht es vor allem um die Beibehaltung einer von der Lufthansa gesponserten Frühpension.
Bis zum Jahresanfang war es Lufthansa-Piloten nämlich möglich, bereits mit 55 Jahren das Steuer aus der Hand zu legen. In den Jahren bis zum echten Pensionsantritt – der aus Sicherheitsgründen bis zum Jahr 2011 beim Alter von 60 Jahren lag – erhielten die Piloten ein reduziertes Gehalt. Laut der Fluglinie kostete diese Übergangsversorgung jährlich rund acht Prozent eines Pilotengehalts, die dafür zurückgelegt werden mussten.
Im Jahr 2011 gingen einige Lufthansa-Kapitäne jedoch vor den Europäischen Gerichtshof. Ihr Anliegen: länger arbeiten dürfen. Sie wollten sich nicht vorschreiben lassen, mit 60 bereits in Pension gehen zu müssen, sondern wollten dies – wie etwa in den USA üblich – erst mit 65 machen. Das Gericht gab den Piloten recht. Laut Lufthansa gibt es wegen dieses Urteils nun auch keine Rechtsgrundlage für die Übergangsversorgung mehr. Anfang dieses Jahres strich sie daher die Regelung ersatzlos. Ein Umstand, den die Gewerkschaft nicht akzeptieren will.
Viel Macht für Kleine
Dass der Unmut der Piloten zu so gravierenden Streiks führt, hängt aber auch mit der Organisationen der Gewerkschaften in Deutschland zusammen. Anders als in Österreich ist es in Deutschland üblich, dass spezifische Berufsgruppen auch von sehr kleinen Gewerkschaften vertreten werden. Dies trifft in der Realität vor allem bei jenen Berufen zu, die über eine große Streikmacht verfügen – etwa den Piloten oder den Lokführern.
Die Arbeitgeber fordern daher schon seit Längerem, dass die Tarifeinheit wieder eingeführt wird, die durch ein Gerichtsurteil 2010 abgeschafft wurde. Zuvor konnten in einem Betrieb mit mehreren Gewerkschaften nur jene Arbeitnehmervertretung Tarife ausverhandeln und Streiks anordnen, die über die meisten Mitarbeiter verfügte. Die kleinen Gewerkschaften waren de facto entmachtet, weshalb das Gericht diese Praxis beendete. (jaz/ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2014)