Energiepolitik: „Nabucco treibt den Gaspreis nach oben“

Europas Gaslieferant? Irans-Präsident Mahmoud Ahmadinejad sitzt auf 16 Prozent aller globalen Gasvorräte.
Europas Gaslieferant? Irans-Präsident Mahmoud Ahmadinejad sitzt auf 16 Prozent aller globalen Gasvorräte.(c) EPA (Christophe Simon)
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Der Politologe Gerhard Mangott glaubt nicht an eine unabhängige Energiepolitik der EU ohne Russland oder den Iran.

Die Presse: Herr Mangott, Sie gelten als einer der schärfsten Kritiker des Nabucco-Projekts in Österreich. Was hat sich durch den Konflikt im Kaukasus verändert?

Gerhard Mangott: Im Grunde begrüße ich die Idee, alternative Gasrouten in den europäischen Raum zu finden. Aber Nabucco ist schon seit sechs Jahren geplant und kann nicht umgesetzt werden, weil die Politik den Handlungsspielraum des Konsortiums stark verengt.

Hat sich die Situation für Nabucco durch die Krise in Georgien verschlechtert?

Mangott: Der Krieg im Kaukasus ist doppelt schlecht für Nabucco. Erstens hat die Zuverlässigkeit des Landes als wichtiges Transitland für Erdgas und Erdöl stark gelitten. Das wird private Investoren abschrecken. Zweitens zeigt Aserbaidschan wieder Interesse, mehr von ihren Gasvorräten an die Russen zu verkaufen.

Die Frage nach möglichen Lieferanten ist ja eine der drängendsten für das Nabucco-Konsortium ...

Mangott: Bislang wurde immer Aserbaidschan als erster Lieferant genannt. Tatsache ist aber, dass ein Großteil der aserischen Produktion schon in langfristigen Lieferverträgen an die Türkei und Georgien vergeben ist. Selbst wenn das Fördervolumen steigt, wird für Nabucco nicht viel übrig bleiben. Auch bei anderen Lieferanten gibt es Probleme: Der Irak ist politisch instabil, Ägypten könnte auf Flüssiggas setzen, und iranisches oder russisches Gas darf man offenbar nicht wollen.

Die Nabucco-Pipeline ist ja auch als ein Zeichen für eine stärkere Unabhängigkeit der EU von russischen Rohstoffen gedacht. Mit einem russischen Partner wäre das wohl nicht geglückt, oder?

Mangott: Ich bin der Meinung, dass Nabucco nur dann eine Chance hat, wenn man entweder Russland zum Drittelpartner macht, dann wäre Europa zumindest zu 65 Prozent von Russland unabhängig. Oder aber man kauft iranisches Gas. Auf beides wird man nicht verzichten können.

Was ist politisch wahrscheinlicher?

Mangott: Russland und Europa sind langjährige Partner, die im Grunde das gleiche Ziel verfolgen. Die jetzigen Dynamik hat es allerdings schwieriger gemacht. Zu Nabucco sagt Putin ja nicht viel mehr, als dass er nichts dagegen habe, wenn Menschen irgendwo Rohre vergraben ...

Mit solchen Sprüchen trifft er einen wunden Punkt der Europäer. Ist eine gemeinsame Energiestrategie der EU und eine Emanzipation von Russland denkbar?

Mangott: Ich sehe keine großen Möglichkeiten. Es würde mehr Sinn machen, die innereuropäischen Gasnetze zu verbinden, aber dagegen sträuben sich die großen Konzerne. Ein Europa, das mit seinen Konzernen nicht fertig wird, kann Russland nicht geschlossen gegenübertreten.

Wie weit hat es Europa mit seinen Bemühungen bisher gebracht?

Mangott: Bis jetzt haben die Diversifikationsbestrebungen der EU, und damit auch Nabucco, nur eines gemacht: Sie haben das Erdgas für Europa verteuert. Der kaspische Raum wurde zu einer Wettbewerbsarena, in der Russen (deren Vorräte ebenfalls schrumpfen) und Europäer um das Erdgas konkurrieren. Als Resultat steigt der Preis für alle. Etwa in Aserbaidschan, wo Alexej Miller (Chef von Gazprom, Anm.) jüngst verkündet hat, dass er bereit ist, den europäischen Marktpreis zu bezahlen. Die Aseris wären dumm, sich jetzt den Europäern an den Hals zu werfen.

Nimmt Russland die Bestrebungen der Europäer ernst?

Mangott: Russland ist natürlich auf Europa als Abnehmer angewiesen. 64 Prozent des russischen Erdgases gehen in die EU, das gesamte Leitungsnetz ist in Richtung Westen ausgerichtet, LNG-Häfen gibt es noch keine. Aber Moskau weiß, dass sich Europa seinen Handlungsspielraum selbst eingrenzt.

Warum?

Mangott: Stichwort Iran. Europa könnte Gazprom keinen größeren Gefallen tun, als zu verhindern, dass der Iran Gas in die EU liefert. Das Interesse der russischen Führung ist, dass iranisches Gas in Richtung Pakistan, Indien und China fließt. Es ist geradezu bizarr, dass sich die EU hier emanzipieren will, und gleichzeitig 16 Prozent der Weltvorräte ausschließt.

Gegen Geschäfte mit dem Iran gibt es aber gute Einwände: Internationale Investoren verlassen das Land, die Führung spricht Israel die Existenzberechtigung ab und bastelt an einer Atombombe ...

Mangott: Der Iran wäre aber nicht der einzige zweifelhafte Handelspartner der EU. Und als Zyniker müsste man sagen: Wenn wir das Regime nicht stabilisieren, machen es die Chinesen. China ist es egal, ob es mit einem Henker oder einem Demokraten zusammenarbeitet. Bei einer so sensiblen Frage wie der Energieversorgung ist es meiner Ansicht nach nötig, aus der moralischen Falle zu entkommen und umzudenken.

Wo tritt China als Konkurrent am Rohstoffmarkt für Europa auf?

Mangott: Im Moment ist die Volksrepublik noch stark auf Kohle angewiesen. Europa ist mit China im Ölwettbewerb im Persischen Golf und kämpft um das gleiche Erdgas in Zentralasien. Von dort ist es einfach, Pipelines nach China zu legen. Und das Regime nimmt eben keine Rücksicht auf die innere Herrschaftsordnung eines Landes.

Für die (teilstaatliche) OMV hieße ein Engagement im Iran aber, möglicher Wegbereiter einer neuen nuklearen Krise zu werden ...

Mangott: Es ist nicht so, dass man Investitionen nicht stoppen könnte. Zudem halte ich die Annahme, dass der Iran eine nukleare Bedrohung für Israel ist, für weitestgehend unwahrscheinlich. Letztlich ist die Frage der Energiesicherheit meiner Ansicht nach keine moralische Überlegung. Wir können moralische und ökonomische Interessen nicht immer vereinen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2008)

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