"Finalverhandlungen" im Gaskonflikt vertagt

Valves and pipelines
Valves and pipelines (c) REUTERS
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Um den Streit zwischen Moskau und Kiew endgültig beizulegen, wurde gestern wie wild verhandelt. Es gab wieder keine Einigung. Nächste Gesprächsrunde: Kommende Woche.

Wien. Die mit Hochspannung erwarteten „Finalverhandlungen“ zur Beilegung des Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine in Brüssel gestalten sich letztlich schwieriger, als erwartet wurde. Die gestrigen Gespräche sollten eigentlich ein Endergebnis bringen, aber bis in die Abendstunden wurde keine Lösung erzielt. Nun soll kommende Woche weiterverhandelt werden.

Zu Verhandlungsbeginn sprach Russlands Energieminister Alexandr Nowak davon, dass „die Erwartungen positiv sind“. Später drang seitens der EU, die als Verhandlungsvermittler fungierte, nur die Information nach außen, dass die Ukraine um zusätzliche zwei Mrd. Euro bei der EU angefragt hat und Brüssel einen möglichen Kredit in dieser Höhe gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds prüft.

Die Ukraine braucht Geld, um einerseits die offenen Schulden für das im ersten Halbjahr gelieferte Gas aus Russland zu begleichen und andererseits Vorauszahlungen für weitere Lieferungen tätigen zu können. Vor den gestrigen Verhandlungen hatte als vorläufiger Einigungsvorschlag vorgelegen, dass die Ukraine 3,1 Mrd. Dollar an Schulden bis zum Jahresende begleiche und Gazprom dafür den Gaspreis um 100 Dollar auf 385 Dollar je 1000 Kubikmeter Gas herabsetze. Diese Einigung sollte dann für die Wintermonate bis März gelten, was zumindest eine temporäre Entspannung auch für Europa bedeuten sollte, das einen bedeutenden Teil des aus Russland importierten Gases über den ukrainischen Transit bezieht.

Weniger Bedarf in der Ukraine

Aber auch die Ukraine selbst braucht dringend eine Einigung, weil sie ohne russische Lieferungen nicht durch den Winter kommt. Seit Juni hatte sie kein Gas aus Russland mehr erhalten, weil Moskau auf Vorauskassa bestand. Gewiss, der Verbrauch in der Ukraine war zuletzt massiv zurückgegangen, weil die energieintensive Industrie in der umkämpften Ostukraine auf weite Strecken stillsteht, die Speicher gut gefüllt sind und mittlerweile auch die EU das krisengeschüttelte Land beliefert.

Verringerung der Abhängigkeit

Alles in allem haben der Gaskonflikt und die politischen Verwerfungen zwischen Russland und Europa wegen der Ukraine-Krise zwar nichts daran geändert, dass Europa für Gazprom der wichtigste und lukrativste Absatzmarkt bleibt, auf dem der Konzern monatlich an die sechs Mrd. Dollar und damit so viel verdient wie nirgendwo sonst. Aber er hat doch dazu geführt, dass beide Seiten immer konkretere Schritte setzen, ihre Abhängigkeiten voneinander zu reduzieren. Aus der Erfahrung der beiden Gaskrisen in den Jahren 2006 und 2009, als auch in der EU Menschen im Winter vor Kälte starben, hat die EU etwa bei manchen Gasleitungen den Reverse-Flow-Modus installiert, sodass Gas im Bedarfsfall nicht nur von Ost nach West, sondern auch umgekehrt strömen kann. Für den bevorstehenden Winter wurden auch die unterirdischen Gasspeicher prall gefüllt und alternative Versorgungsvarianten vorbereitet.Ein in der Vorwoche präsentierter Gas-Stresstest hat ergeben, dass auch ein – absolut unwahrscheinlicher – Totallieferstopp seitens der Gazprom kein EU-Land in ernsthafte Schwierigkeiten bringen würde.

Gazproms neues Standbein

Aber auch Gazprom bleibt nicht untätig. Am Dienstag unterstrich der Konzern seine Absicht, das Asiengeschäft als neues Standbein auszubauen. Man erwäge, mehr Geld in andere Märkte umzuschichten, hieß es in einer Mitteilung. Demnach werde von den zusätzlichen 220 Mrd. Rubel (4,2 Mrd. Euro), um die Gazprom das heurige Investitionsvolumen auf letztlich 19,62 Mrd. Euro aufstockt, ein Teil auch in den Bau der neuen Pipeline „Sila Sibiri“ nach China fließen. Im Mai hatte Russland mit China einen großen Gas-Vertrag ausgehandelt, dessen Volumen auf 313,16 Mrd. Euro geschätzt wird. Ab 2018 liefert Gazprom bis zu 38 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr in die Volksrepublik. China freilich nützt Gazproms eingeschränkten Bewegungsspielraum schonungslos aus und diktiert die Bedingungen härter als Europa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2014)

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