Superhit "Lambada": Alles nur geklaut

„Die Melodie ist eigentlich traurig“, beschreibt der Bolivianer Gonzalo Hermosa das Original.
„Die Melodie ist eigentlich traurig“, beschreibt der Bolivianer Gonzalo Hermosa das Original.(c) Javier Sauras
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Vor 25 Jahren erreichte „Lambada“ Platz eins der österreichischen Hitliste. Das Lied war eines der dreistesten Plagiate der Musikgeschichte. Zu Besuch beim Urheber in Bolivien.

Die Melodie hat er noch immer im Ohr. Gonzalo Hermosa legt den Kopf in den Nacken und dreht ihn selig lächelnd in einer Acht zum Rhythmus. „Es war Anfang der Achtzigerjahre, wir produzierten gerade ein Album, und uns fehlte noch ein Lied“, erinnert sich der ältere Mann. „Mein Bruder Ulises stimmte seine Gitarre seit einiger Zeit mit diesem einen Akkord ein, der ihm durch den Kopf geisterte.“ An einem der letzten Aufnahmetage trällerte Ulises zu seiner Melodie ein paar Zeilen. Gonzalo Hermosa strahlt: „Wir wussten, dass das ein Hit werden könnte.“


Kaoma eroberte Hitlisten. Der Herr im Poncho sitzt in seinem Aufnahmestudio im Norden von Cochabamba, einer armen 700.000-Einwohner-Stadt mit dünner Höhenluft im Zentrum von Bolivien. So wie damals, als seinem mittlerweile verstorbenen Bruder Ulises die Melodie einfiel. Heute ist Gonzalo Hermosa 63, aber an diese Entstehung erinnert er sich, als wäre es gestern gewesen. „Auf der ganzen Welt wurde es ja gespielt. Das ist schon unglaublich, oder?“, fragt er und sieht dabei irgendwie stolz und traurig zugleich aus.

Video: Der Hit

Im Sommer 1989 eroberte die Gruppe Kaoma mit dem exotischen Lied „Lambada“ die europäischen Hitlisten im Sommersturm. Weltweit verkaufte sich der Tonträger dazu rund sechs Millionen Mal. 14 Wochen Platz eins in der Schweiz, zehn Wochen in Deutschland, sechs Wochen in Österreich. Die Spitze der Charts erreichte das Stück hier im Oktober 1989. Das war ziemlich genau acht Jahre, nachdem die Musiker aus Bolivien das Lied aufgenommen hatten.

Als Gonzalo Hermosa erfuhr, dass es in Österreich und anderswo der Sommerhit war, traute er seinen Ohren nicht. Von der französischen Gruppe Kaoma schwärmte man zu diesem Zeitpunkt in Europa, aber von Gonzalo Hermosas Band Los Kjarkas sprach niemand. Auch der Titel „Llorando se fue“, wie das Original hieß (auf Deutsch: „Weinend ging sie davon“), war kaum jemandem ein Begriff.

Video: Das Original

„Die hatten unser Lied einfach geklaut“, sagt Hermosa. Es handelte sich um einen der großen Plagiatsfälle des Musikgeschäfts. In den 1980er-Jahren, als die Branche boomte, reisten damals zwei Produzenten, der Grieche Jean Georgakarakos und der Franzose Olivier Lorsac, auf der Suche nach Hits nach Südamerika. Dort stießen sie auf den noch jungen brasilianischen Tanz Lambada sowie die Melodie von Ulises Hermosa, deren Panflötenklänge den beiden Geschäftsmännern nicht mehr aus dem Kopf gegangen sein dürften.

Aus dem Original „Llorando se fue“ mischten Georgakarakos und Lorsac eine poppigere, schnellere Version und vermarkteten sie als den Song zu „ihrer“ neuesten Tanzentdeckung unter Palmen. Nicht nur in Österreich, wohin im selben Sommer zwischen Hits von Minisex und Falco am Vorabend des Berliner Mauerfalls hunderte DDR-Bürger flohen, brach das Lambada-Fieber aus. Zweimal Platin bekam Kaoma allein in Deutschland, Lambada gehört zu den meistverkauften Singles der Geschichte.

Die Österreicher wurden zu Möchtegern-Brasilianern, zahllose Tanzklubs boten Kurse an. Der Videoclip, der im Fernsehen rauf- und runtergespielt wurde, zeigte nach damaligen Standards fast anrüchig tanzende Paare vor einer Cocktailbar an einem makellosen Strand. Kinder tanzen darin Lambada, Jugendliche, Erwachsene. Eine seltene Mischung aus Sex, Fernweh und Glückseligkeit liegt in der Luft, begleitet von einer Frauenstimme. Beim ersten Hinhören wirkt sie wie die perfekte Kopie von Gonzalo Hermosa, der das Original in Kopfstimme sang. Das brasilianische Akkordeon, das die Grundmelodie spielt, unterscheidet sich kaum von der Panflöte der Kjarkas. Aber sonst klingt das Lied für Hermosa wie eine billige, durch den Fleischwolf eines Popproduzenten gedrehte Kopie. „Die Melodie ist eigentlich traurig“, sagt er. „Unser Lied handelt von Liebeskummer, einem Verlust, der noch heute schmerzt.“

Die Hermosa-Brüder reichten eine Klage bei der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (Gema) in Deutschland ein. Als dort die Konten von Georgakarakos und Lorsac eingefroren werden mussten, war das Staunen erst einmal groß. „Das war schon einer der großen Fälle bei uns“, sagt Gaby Schilcher, die Pressesprecherin der Gema, in München. „Wir hatten einen richtig dicken Ordner im Büro.“

Jährlich gehen bei der Gema rund eine Million Werke ein, um diese rechtlich zu schützen. 330 Werke befinden sich derzeit in einem Rechtsstreit, der älteste Fall reicht zurück bis 1979. Aber an Lambada denkt man im Haus noch heute zurück. „Wenn ein Lied die Top Ten der Charts erreicht, dann geht es schon um richtig viel Geld. Und Lambada hat sich ja sogar lang auf Platz eins gehalten.“

Allerdings ist die Sache nicht nur wegen des hohen Streitwerts bemerkenswert, sondern auch dadurch, dass sie am Ende ziemlich schnell geklärt war.


Man verglich sich. Bei den Gerichtsterminen in Frankreich stellte sich schnell heraus, dass die Europäer, die die Autorenrechte zunächst gegen ein kleines Schmerzengeld bei sich behalten wollten, wenig Raum zur Verteidigung hatten. Selbst Loalva Braz, die Sängerin von Kaoma, wünschte Gonzalo und Ulises Hermosa Glück. Außergerichtlich einigten sich die Parteien schließlich auf einen Vergleich. Für jeden verkauften Tonträger mussten Georgakarakos und Lorsac die Hälfte der Gewinne an EMI abtreten, die Plattenfirma der Kjarkas.

Ein Sieg der Gerechtigkeit also? In Bolivien sieht man das nicht ganz so. „Wir haben damals mit der Musik angefangen, um unsere Kultur in die Welt zu tragen“, sagt Gonzalo Hermosa in seinem bunten Studio, das an jedem Tag der Woche von Nachwuchsmusikern bevölkert ist. „Es geht um diesen Verlust, der noch heute schmerzt.“ Und er trällert wieder die Melodie, die eigentlich von hier kommt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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