Schweden: Zwanzig Jahre warten auf eine Mietwohnung

(c) BilderBox (Erwin Wodicka)
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Seit Jahrzehnten kontrolliert der schwedische Staat den Markt bei Mietwohnungen. Die Regulierung führte direkt ins Chaos. Es blüht der Schwarzmarkt, Eigentumswohnungen sind unerschwinglich geworden.

Wien. Skandinavien scheint Europa immer eine Spur voraus zu sein: Laut PISA-Studie finden sich dort die klügsten Schüler, und die Antikorruptionsorganisation Transparency International ortet dort die „saubersten“ Geschäftsmänner. Wenn man etwas genauer hinschaut, strahlen die Nordlichter aber doch nicht so hell: So liegt beispielsweise der Wohnungsmarkt in Schweden im Argen, wenngleich von Markt kaum die Rede sein kann.

Wer in der Hauptstadt Stockholm ein zentrales Appartement aus dem öffentlichen Mietwohnpool beziehen möchte, muss je nach Lage und Preis zwischen sechs und 20 Jahre warten. Die beliebtesten Objekte sind günstige, ältere Wohnungen mitten in der Innenstadt. Ab 6000 schwedischen Kronen (ca. 640 Euro) für 80 Quadratmeter ist man dabei. Entsprechende Geduld vorausgesetzt, denn freie Mietwohnungen sind in schwedischen Städten dünn gesät.

Seit den 1970er-Jahren wurde der Einfluss des Staates auf den Mietmarkt massiv ausgeweitet: In Schweden haben Mieter in diesem System (bruksvärdesystem) ein Mitspracherecht bei der Miethöhe. Auch privatwirtschaftliche Vermieter sind an die öffentlichen Mietpreise gebunden. Mittlerweile kann sich der Staat die Finanzspritzen kaum mehr leisten, und für private Unternehmen ist es aufgrund künstlich niedriger Mieten meist nicht rentabel, neue Mietanlagen zu bauen.

Der Markt wird schwarz

Neben den erwähnten Wartezeiten bringt der Wohnungsmarkt auch andere seltsame Blüten hervor: Der Schwarzmarkt bei Mietwohnungen floriert, eine Wohnung aufzugeben, kommt für viele nicht in Frage, selbst wenn man sie nicht mehr benötigt. In diesem Fall wird sie teuer untervermietet.

Die Instandhaltung zahlt ohnehin die Öffentlichkeit, finanzielles Risiko gibt es daher kaum. Auch besonders wohlhabende Familien, die schon längst in einer Villa im Vorort wohnen, profitieren in diesem System.

„Viele Schweden, die sich eigentlich eine Mietwohnung wünschen, werden zu Eigentumswohnungen getrieben, mit dem Nachteil stark ansteigender Preise weit über dem geschätzten Realwert“, kritisierte auch die OECD den Wohnungsmarkt im Jahr 2007.

Der Handlungsbedarf ist groß: In den großen Städten werden laufend neue Jobs geschaffen, der Zuzug vom Land kann nur verlangsamt stattfinden. Nach einer Lösung wird schon seit Jahren gesucht, und die Diskussion wurde erneut angefacht, als im April die Ergebnisse der von der Regierung beauftragten Untersuchungskommission veröffentlicht wurden: „Mieterhöhungen sollen möglich sein, wenn die Nachfrage nach Mietwohnungen über dem Angebot liegt.“ Damit wäre auch das öffentliche Preismonopol gekippt. Der Bau von Mietanlagen in attraktiver Stadtlage soll dadurch wieder einen Aufschwung erleben.

Dieses Vorhaben stieß auf Kritik bei der einflussreichen schwedischen Mietervereinigung. „Mehr als 50.000 Haushalte in Stockholm, Göteborg und Malmö sind dann gezwungen, umzuziehen“, warnte die Chefin Barbro Engman, „da 27 Prozent der Haushalte in den besten Lagen in Stockholm, Malmö und Göteborg Niedrigverdiener sind.“

Der für die Reform verantwortliche konservative Minister für Kommunal- und Finanzmarktfragen, Mats Odell, rudert bereits zurück und greift die Idee einer „dritten Lösung“ auf: „Die kommunalen, öffentlichen Wohnungsanbieter sollen kommerziell geführt werden, jedoch einen sozialen Auftrag verfolgen.“ Er wünscht sich eine Lösung auf breiter Basis.

„Der Markt funktioniert oft nicht“

Björn Sundström vom Schwedischen Regionen- und Bezirksverband, der die Interessen der öffentlichen Wohnunternehmen vertritt, kann sich damit anfreunden und erklärt die schwedische Seele: „Der Markt funktioniert oft nicht. Ich glaube, die meisten Schweden wollen keine strikten Marktregelungen, das ist nicht die schwedische Art zu denken.“

Die Regierung in Stockholm könnte sich freilich ein Beispiel an der Stadt Malmö nehmen: Die drittgrößte Stadt Schwedens hat kürzlich mehr Marktmechanismen zugelassen, so weit es eben durch nationale Gesetze möglich war. Die Schieflage am Mietmarkt konnte durch ein nach Lage gestuftes Preissystem deutlich korrigiert werden. OECD und Untersuchungskommission plädieren jedenfalls für mehr Markt – private Hausbesitzer sollen für Wohnungen Marktpreise verlangen können, die Mieten sollten sich auch stärker nach der Lage der Immobilie richten. Wenn der kommende Gesetzesentwurf allerdings wirklich dem angedeuteten Kompromiss entspricht, werden die Ratschläge der OECD und der Untersuchungskommission in den Wind geschlagen.

Auf einen Blick

In Schweden sind Wohnungsvermieter an öffentliche Richtpreise gebunden. Das führt dazu, dass Mietwohnungen kaum am „freien“ Markt zu finden sind. Die Wartezeiten auf eine Mietwohnung dauern bis zu 20 Jahre. Der einzige funktionierende Markt ist der Schwarzmarkt. Wohnungen werden unter der Hand untervermietet. Eigentumswohnungen werden teurer, die Politik lässt nur zögerlich Marktmechanismen zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2008)

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