Geldpolitik: Chinas riskantes Geldmanöver

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Völlig überraschend hat Chinas Zentralbank den Leitzins gesenkt und damit weltweit an den Börsen ein Kursfeuerwerk ausgelöst. Was in der EU oder in Japan die Konjunktur stützt, stellt in der Volksrepublik ein Risiko dar.

Peking. Bis vor Kurzem galt China auf den internationalen Kapitalmärkten als völlig unbedeutend. Der heimische Kapitalmarkt war weitgehend abgeschottet, große Geldmengen konnten nicht ohne Weiteres hinein- und hinausfließen. So schnell die Volksrepublik zum größten Exporteur der Welt aufgestiegen ist – auf den internationalen Finanzmärkten spielten chinesische Investoren keine wichtige Rolle.

Das hat sich nun drastisch geändert. Am Freitag hat Chinas Notenbank zum ersten Mal nach mehr als zwei Jahren überraschend die wichtigsten Zinssätze gesenkt. Sie verbilligte den Leitzins von sechs auf 5,6 Prozent. Am Montag hieß es aus Insiderkreisen, die chinesische Regierung sei zu weiteren Zinssenkungen und einer Ankurbelung der Kreditvergabe bereit – was das weltweite Kursfeuerwerk an den Börsen weiter ankurbelte.

Chinesen hamstern Aktien

Was genau passiert ist: Chinesische Investoren haben das günstigere Geld ihrer heimischen Zentralbank genommen, um sich damit auf breiter Front weltweit mit Aktien einzudecken. Die Börsen in New York, London, Frankfurt und Tokio erreichten allesamt die höchsten Kursstände seit Monaten. Offensichtlich gibt es in Chinas bislang streng reguliertem Finanzsystem inzwischen so viele Lücken, dass nun auch chinesische Anleger binnen weniger Sekunden ihr Geld an den weltweiten Finanzplätzen platzieren können.

In erster Linie reagiert die chinesische Notenbank auf das nachlassende Wachstum im eigenen Land. Es lag im dritten Quartal bei 7,3 Prozent und damit so niedrig wie seit fast sechs Jahren nicht. Erstmals seit 15 Jahren könnte die chinesische Führung 2014 ihr selbst gesetztes Ziel von 7,5 Prozent Wachstum verfehlen. Mit dem niedrigeren Leitzins sollen nun Kredite für Firmen und Verbraucher billiger werden, was neue Impulse schaffen soll.

„Ziel der Zinssenkung ist es, die Kapitalkosten für Mittelständler zu senken und das Wachstum zu stabilisieren“, teilte die Notenbank auf ihrer Website mit. So zumindest lautet die offizielle Version. Doch der chinesischen Führung, die Chinas Notenbank kontrolliert, geht es um mehr als eine vereinfachte Kreditvergabe: Sie steigt in den weltweiten Wettlauf um das billigste Geld ein. Die US-Notenbank Fed fing damit an. Sie hat seit der Finanzkrise 2008 die Märkte mit ständig neuen Geldspritzen unterstützt, um den Dollar zu verbilligen und damit die heimische Wirtschaft anzukurbeln. Ende Oktober stellte die Fed die Hilfen ein.

Japans Geldschleusen offen

Die japanische Notenbank hat ihre Geldschleusen hingegen weiterhin weit geöffnet. Das Inselreich steckt derzeit wieder in einer Rezession. Der Wechselkurs des Yen zum Dollar ist seit Anfang des Jahres um fast fünf Prozent gefallen. Mit einem schwachen Yen will es die japanische Notenbank den Exporteuren im eigenen Land leicht machen, Marktanteile zu gewinnen. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB) bereitet angesichts der schwächelnden Volkswirtschaften in der EU entsprechende Maßnahmen vor. Mit der Leitzinssenkung schwenkt die chinesische Notenbank nun auf einen ähnlichen Kurs ein wie die Fed, die EZB und die Zentralbank von Japan, sagt Ökonom Alexandre Baradez vom Pariser Finanzhaus IG: „Sie treiben allesamt die Märkte.“

Während aber Japans schrumpfende Volkswirtschaft und auch die seit Jahren kriselnden Staaten in Europa die Geldspritzen benötigen, könnte die Zinssenkung der chinesischen Notenbank zu gefährlichen Blasen beitragen. Vor allem die Stahlindustrie hat in den vergangenen Jahren enorme Überkapazitäten geschaffen. Sie könnte ihr Leben nun mit preiswerten Krediten weiterverlängern.
Commerzbank-Analyst Carsten Fritsch sieht die Leitzinssenkung entsprechend kritisch: „Während sich der Häusermarkt gerade abkühlt, baut China eine Kreditblase auf.“ Dies mit einer Zinssenkung zu bekämpfen hält er daher für riskant.

Auf einen Blick

Leitzinssenkung. Am Wochenende hat Chinas Notenbank zum ersten Mal nach mehr als zwei Jahren überraschend die wichtigsten Zinssätze gesenkt. Sie verbilligte den Leitzins von 6 auf 5,6 Prozent und löste damit an den weltweiten Börsen prompt ein Kursfeuerwerk aus. Am Montag hieß es, die chinesische Führung sei aus Furcht vor einer Deflation zu weiteren Zinssenkungen und einer Ankurbelung der Kreditvergabe bereit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2014)

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