Setschin: „Die Vereinigten Staaten haben nur noch zehn Jahre“

Rosneft-Chef Igor Setschin gilt als enger Vertrauter von Wladimir Putin.
Rosneft-Chef Igor Setschin gilt als enger Vertrauter von Wladimir Putin.(c) Bloomberg
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Rosneft-Chef Igor Setschin gilt als zweitmächtigster Mann hinter Putin. Was er von der Opec, den USA und den Sanktionen hält, erzählt er im Interview mit der „Presse“.

Die Presse: Sie gelten als zweitmächtigster Mann in Russland. Stimmt das Ranking?

Igor Setschin: Da kann ich nur lachen.


Warum soll es nicht stimmen?

Ich arbeite, wo ich arbeite. Rosneft ist der landesweit größte Steuerzahler. So gesehen verstehe ich die Verantwortung, die ich habe. Das ist schon nicht wenig.


Wie oft treffen Sie Kreml-Chef Putin?

Nur wenn es unbedingt nötig ist, sprich wenn es eine sehr wichtige Information zum Ölsektor oder zum Konzern zu übermitteln gibt, rufe ich in seinem Sekretariat an. Und wenn er es für nötig hält, ruft er vielleicht zurück. Aber das passiert nicht so oft.


Waren Sie in Moskaus Entscheidung über das Vorgehen in der Ukraine involviert?

Weder Rosneft noch ich. Überhaupt ist es lächerlich zu glauben, dass jemand Druck auf den Präsidenten ausüben könnte.


Ich meine eher so etwas wie Beratung.

Das scheint mir Nonsens zu sein. Schon Machiavelli hat gesagt, dass die Kraft der Macht im Geheimnis besteht.


Sie haben – als Kommissionschef für den russischen Energiesektor – vor dem gestrigen Opec-Treffen in Wien Konsultationen mit Venezuela, Mexiko und Saudiarabien durchgeführt. Warum?

Die Beratungen zwischen Opec-Mitgliedern und unabhängigen Produzenten fanden zum ersten Mal statt. Allein das hat große Bedeutung. Wir haben uns über den Zustand des Markts und über einige Pläne ausgetauscht. Und wir haben beschlossen, im Lauf des Jahres 2015 ein Monitoring über den Markt durchzuführen und uns mindestens ein Mal im Quartal zu treffen.


Der Markt hat gestern schon vor der Opec-Entscheidung, die Förderung nicht zu kürzen, keine Entscheidung erwartet.

Er scheint mir im Moment auch keine unerwarteten Aktionen zu brauchen.


Da die Opec nicht eingreift: Was heißt das für die Preisentwicklung?

Dass bislang nichts Außergewöhnliches vor sich geht. Man muss einsehen, dass die bestehenden Branchenstrukturen wie die Internationale Energieagentur oder das Sekretariat der Energiecharta und die Opec leider ihre Funktion nicht erfüllt haben. Ich meine, künftig aussichtsreich sind nicht Kartellorganisationen, sondern ist die Schaffung eines Rats für den Markt, wobei Ölproduzenten wie auch -konsumenten und Regulatoren involviert sein müssten. Schon seit fünf Monaten fällt der Ölpreis. Ich glaube, alle Marktteilnehmer werden fundamentale und situative Faktoren dafür ausmachen.


Die fundamentalen sind welche?

Ein gewisses Überangebot. Auch haben die USA aufgehört, den Dollarkurs zu stützen. Ein dritter Faktor betrifft den regionalen US-Markt, und zwar die Förderung von Shale-Öl. Diese Förderung wird steigen. Aber praktisch alle Experten sind sich einig, dass von 2017 bis 2025 der Plafond erreicht ist. Nach 2025 wird die Förderung sinken, und zwar wegen der Ressourcenbasis, soweit sie uns heute bekannt ist. Im Moment verstärkt die US-Förderung den Preisverfall, künftig wird die rückläufige Produktion den Preis treiben.


Bis dahin aber sind noch zehn Jahre Zeit.

Es sind nur noch zehn Jahre für die USA. Also kann man über die Manipulation nachdenken, die mit dem Wissen über die Beschränktheit der Ressourcenbasis zu tun hat.


Könnte der Ölpreis kurzfristig auf 60 Dollar fallen, wie prognostiziert wird?

Wir erwarten, dass es einen Preisverfall bis 60 Dollar und darunter geben kann – aber im Verlauf des ersten Halbjahrs. Rosneft hat genug Elastizität und Vorrat, der Preis von 60 Dollar passt uns also auch. Natürlich müssen wir dann teure Projekt schieben.


Wie viele Projekte würden für Rosneft unrentabel werden?

Wir sollten mit einer Bezifferung warten, bis es so weit ist. Es bedeutet ja nicht, dass der Markt billiges Öl im nötigen Volumen erhält. Es werden einfach Fördervolumina der Firmen mit schwierigen Ressourcen gekürzt.


Sind wir in einer Phase, in der traditionelle Systeme wie die Opec keine Ergebnisse mehr zeitigen?

Es sollen alle so tun, wie sie es für richtig halten. Wenn es ihnen so gefällt, gut, möge Gott sie schützen. Die Opec war eine effiziente Struktur und zeigte Effizienz. Vielleicht wird sie auch wieder eine zeigen.


Aber jetzt zeigt sie jedenfalls keine, oder?

Die Frage ist, wer welche Interessen hat. Z. B. werden Sanktionen gegen russische Öl- und Gasfirmen eingeführt. Wozu? Meine Annahme: um ein Konkurrenzmilieu zu schaffen, und etwa russische Konzerne aus dem asiatischen Raum, wo der Konsum steigt, zu drängen. Verstehen Sie, der Mensch denkt, Gott lenkt. Es könnte sein, dass Sie und ich etwas einfach nicht wissen.


Ich jedenfalls weiß, dass Sie ein Anhänger von Verschwörungstheorien sind.

Nun, nein, das ist ein weiterer Mythos.


Es gibt die Theorie, dass Saudiarabien den Ölpreisverfall zulässt, weil man Russland schaden will.

Saudiarabien unternimmt nichts gegen Russland.


Haben Sie beim Treffen mit Saudiarabien erfahren, welches Motiv hinter deren Preispolitik steht?

Wir haben das nicht diskutiert. Übrigens: Krisen schaffen zusätzliche Möglichkeiten. Manche Unternehmen werden einen tiefen Ölpreis nicht lange aushalten. Die Krise wird zur Neuaufteilung des Markts führen. Und wegen der unkonventionellen Förderung in den USA stehen wir an der Schwelle zu einer großen Neuaufteilung.


Am Dienstag kam die Information heraus, dass Rosneft die Tagesförderung um 25.000 Fass kürzt. Den Markt kann diese Menge nicht beeinflussen.

Das hat ja nicht mit Entscheidungen der Opec zu tun. Wir erhöhen einfach die Effizienz. Wenn der Preis niedrig sein wird, werden in Russland manche Projekte nicht umgesetzt werden. Russlands Potenzial, die Förderung bei einem niedrigen Ölpreis zu senken, sind 200.000–300.000 Fass pro Tag.


Was schmerzt mehr: das Sanktionsverbot auf den Import von Technologie oder der beschränkte Zugang zum Finanzmarkt?

Auf wen werden die Sanktionen überhaupt mehr Einfluss haben? In Deutschland hängen an die 300.000 Arbeitsplätze an der Produktion von Anlagen für den Export nach Russland. Die Übertragung der Sanktionen von der Politik- auf die Unternehmensebene ist ein großer Fehler. Wie Napoleon sagte: Ein Fehler ist schlimmer als ein Verbrechen. Es ist kontraproduktiv, diese sinnlosen Sanktionen fortzuführen. Man muss an den Verhandlungstisch.


Was bedeutet es für Sie selbst, dass Sie nicht in die USA einreisen dürfen?

Das nehme ich mir natürlich sehr zu Herzen. Aber ich habe in den USA weder Vermögen noch Konten. Freunde habe ich dort sehr wohl.

Zur Person

Von seinen Gegnern wird er Darth Vader genannt. Kein Zweiter in Russland hat in den vergangenen zehn Jahren für mehr Aufsehen auf dem russischen Energiesektor gesorgt als Igor Setschin (54). Er gilt als Mastermind der Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos, der dann großteils im staatlichen Konzern Rosneft aufging. Seither diktiert er die Regeln auf dem russischen Ölsektor. Mit Putin ist der studierte Romanist seit den Neunzigerjahren bekannt. Später wurde er Vizeleiter der Präsidialadministration und Vizepremier. Unter ihm wurde die staatliche Rosneft, der er heute vorsteht, zum größten Ölkonzern in Russland. Er fördert heute etwa fünf Prozent des weltweiten Bedarfs. 2014 wurde Setschin auf die US-Sanktionsliste gesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2014)

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