Staatsbankrott: Venezuela am Rand der Pleite

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Der rasant gefallene Ölpreis schmälert die Deviseneinnahmen des Landes drastisch. Ratingagenturen halten einen Zahlungsausfall für nicht ausgeschlossen.

Caracas. Venezuela ist ein reiches Land. Zumindest reich an Öl. Glaubt man den Statistiken aus Caracas, verfügt das Opec-Mitglied sogar über die größten nationalen Ölvorkommen der Welt. Auf mehr als 300 Milliarden Fass (zu 159 Liter) belaufen sich die bestätigten Reserven. Das schwarze Gold garantiert der Staatskasse normalerweise üppige Einnahmen. Venezuela erwirtschaftet 96 Prozent der Deviseneinnahmen aus den Ölexporten, die auch mehr als 50 Prozent des Staatshaushalts speisen.

Doch dieser Segen wurde heuer zum Fluch, als die Ölpreise in den freien Fall gingen. Ökonomen und Ratingagenturen sehen daher mit großer Skepsis auf Venezuela und halten sogar einen Zahlungsausfall für nicht ausgeschlossen. Noch mehr als Argentinien, das seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Hegdefonds nicht nachkommt, ist daher Venezuela von der Staatspleite bedroht.

Zumal nicht nur der sinkende Ölpreis das Land in die Armut stürzt. Die Ölförderung ist total veraltet und liegt zum Teil brach. Was dazu geführt hat, dass das Land viel weniger Öl fördert, als es könnte. Dazu kommen die immensen Sozialausgaben, die durch den unter dem verstorbenen Ex-Präsidenten Hugo Chavez verstaatlichten Ölkonzern Petroleos de Venezuela (PDVSA) finanziert werden. Andere Wirtschaftszweige wurden vernachlässigt.

Präsident Nicolás Maduro lässt freilich keinen Tag vergehen, ohne seine 30 Millionen Venezolaner zu beruhigen und die Schwarzmalerei zu geißeln. „Venezuela wird 2015 den Rhythmus seiner weltweiten finanziellen Verpflichtungen und seiner Investitionen in die soziale Entwicklung des Landes beibehalten“, sagte der linksgerichtete Staatschef vor wenigen Tagen. Maduro muss freilich Einnahmeverluste von bis zu 40 Prozent einräumen.

2013 wurden die Einnahmen aus dem Ölgeschäft auf rund 75 Milliarden Dollar (61,5Mrd. Euro) geschätzt. Da lagen die Preise für ein Fass aber noch bei fast 100 Dollar. Derzeit pendeln sie um die 60 Dollar. Um seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, braucht das Land aber einen durchschnittlichen Preis von 97 Dollar, geht aus Berechnungen der Credit Suisse hervor. Oder, anders ausgedrückt: Die Devisenreserven liegen mit 21,5 Mrd. Dollar auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren. Damit können nur 40 Prozent der Verbindlichkeiten in den kommenden fünf Jahren abgedeckt werden. Ernst wird es erstmals am 16.März 2015: Da wird eine Anleihe über eine Milliarde Dollar fällig. Insgesamt sind 2015 mehr als 30 Mrd. Dollar an Zahlungen fällig.

Wirtschaft schrumpft um vier Prozent

Die internationalen Ratingagenturen sehen schwarz: Moody's und Standard & Poor's haben Venezuela auf den unteren Ratingplätzen. Fitch senkte die Bonität des Landes kürzlich von „B“ (hochspekulativ) auf „CCC“. Das heißt: Nur bei günstiger Entwicklung sind keine Zahlungsausfälle zu erwarten. Oder: Wenn es weiter so schlecht läuft, kann es zum sogenannten Default (Ausfall) kommen. Die Entwicklung ist aber nicht gut: Fitch schätzt, dass die Wirtschaft heuer annähernd um vier Prozent schrumpfen dürfte und erwartet, dass Venezuela 2015 in der Rezession bleibt.

Die Bevölkerung hängt freilich am Tropf der staatlichen Sozialprogramme (Misiones). Um diese fürchtet sie nun. Die Misiones stellen unter anderem die medizinische Versorgung sicher, umfassen kostenfreie Bildungsangebote und stärken den Wohnungsbau. Im für 2015 veranschlagten nationalen Budget von rund 118 Mrd. Dollar sind etwa 60Prozent für den Sozialetat eingeplant. Allerdings legte die Regierung der Berechnung des Jahresetats einen Fass-Preis von 60 Dollar, ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent und eine Inflationsrate von 30 Prozent zugrunde. Letzteres scheint derzeit utopisch. Allein die Inflation liegt inoffiziellen Schätzungen zufolge bei rund 70 Prozent.

Maduro und Außenminister Rafael Ramírez sollten daher weniger Stimmung gegen warnende Stimmen machen, als ernsthafte Reformen anzugehen, sagen Experten. Kurzfristig bliebe die Möglichkeit, die Währung Bolívar abzuwerten, meint Alberto Abes, Ko-Chefvolkswirt der Bank of Amerika Merrill Lynch. Damit könnte das Land mit gleichen Deviseneinnahmen einen größeren Teil des Haushalts finanzieren. Der Wert des Bolívar könnte laut Merrill Lynch von 6,30auf 30 Bolívar je Dollar steigen. Inoffiziell kostet die Währung schon jetzt 180 Bolívar je Dollar. Das Land könnte auch Staatseigentum verkaufen und Subventionen kürzen. Das könnte aber in dem unstabilen Land soziale Unruhen nach sich ziehen. (dpa/red.)

AUF EINEN BLICK

Venezuela droht aufgrund des starken Ölpreisverfalls der Staatsbankrott. Das Land lukriert 96Prozent der Deviseneinnahmen aus dem Ölexport, der wiederum die Hälfte des Staatshaushalts ausmacht. Die Wirtschaft wird heuer Ökonomen zufolge um rund vier Prozent schrumpfen. Nächstes Jahr werden Zahlungen über 30 Milliarden Dollar fällig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2014)

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