Vom Stress, die Zukunft neu zu erfinden

(c) APA/EPA/BRITTA PEDERSEN
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Das jährliche »Dünner, schärfer, schneller!« reicht nicht mehr, um Menschen wirklich für neue Handys und Fernseher zu begeistern. Auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas hat die Branche daher gezeigt, wie sie den Rest unseres Lebens übernehmen will.

Wer seit Jahren nur noch darauf wartet, dass sein Auto ihn selbstständig ans Ziel bringt, die Windel seines Kindes automatisch Bescheid gibt, bevor sie übergeht, und sich am besten auch sonst alles im Leben vollautomatisch erledigt, der war dieser Tage in Las Vegas genau richtig. 160.000 Menschen strömten in die Wüstenstadt zur Consumer Electronic Show (CES), dem alljährlichen Schaulaufen der Branche.

Auf den ersten Blick gab es wenig Überraschungen: 3-D-Drucker, Drohnen, einige Virtual-Reality-Brillen und stapelweise Smartwatches. Die Fernseher und Handys sind noch dünner, noch schärfer und noch gebogener als im Jahr zuvor. Warum gebogen? Wohl einfach, weil es die Konzerne können.

Aber da für krumme Handys kaum jemand Schlange steht, machen sich die Unternehmen daran, das Internet dem Rest der Welt überzustülpen. Noch sind 99 Prozent der Dinge in dieser Welt „offline“. Geht es nach den Technologiekonzernen, wird das nicht lang so bleiben. Vom Smartphone über den Turnschuh bis zur Klobrille sollen sich alle Gegenstände an und um uns miteinander unterhalten können. Zum Wohle ihrer Nutzer, versteht sich.


Startschuss vor 33 Jahren. Den Grundstein für dieses „Internet der Dinge“ legte ein Informatiker an der Carnegie-Mellon-Universität vor mittlerweile 33Jahren. Er montierte Sensoren in den Cola-Automaten an seiner Uni, verband sie mit einer Urform des Internets und wusste fortan immer im Voraus, ob sein Lieblingsgetränk ausverkauft war oder nicht. Mittlerweile sind Computerchips so billig, dass manche Städte sie sogar ins Pflaster verbauen, um Autofahrern automatisch melden zu können, wo Parklücken sind. Der südkoreanische Konzern Samsung will spätestens 2020 nur noch Geräte verkaufen, die mit dem Internet verbunden sind. Mit ihm rittern alle anderen Elektronikhersteller, Internetgrößen, Telekomunternehmen und Energieversorger darum, den Menschen ein Stück weit das Denken abnehmen zu dürfen.

Fahrerloses Fahren. Sieht man sich auf der CES um, wird eines klar: Im Auto dürfte es bald so weit sein. Gut, 2015 wird das Lenkrad noch nicht aus dem Wagen verschwinden. Aber schon in zwei Jahren erwartet die Boston Consulting Group zahlreiche Fahrzeuge auf den Straßen, die selbstständig auf Autobahnen fahren und im Stau überholen. Noch einmal fünf Jahre später sollen die Vehikel auch im Stadtverkehr keinen menschlichen Fahrer mehr benötigen.

Audi, Mercedes und VW haben in Las Vegas ihre Konzeptkarossen vorgestellt. Das meiste Aufsehen erregte Mercedes-Chef Dietrich Zetsche mit seinem Mercedes-Benz F015. Von außen ein futuristisches Stück Seife auf Rädern, mutet das radikale Vorzeigeprojekt innen wie ein kleines Wohnzimmer an. Die beiden Vordersitze können umgedreht werden, sodass sich alle vier Insassen gut unterhalten können. Sechs Monitore informieren über das, was im Inneren und Äußeren des Wagens so passiert. Ein Blick auf die Straße ist nicht mehr notwendig. Die Navigation übernimmt der Computer.

Während komplett automatisches Fahren aber noch Zukunftsmusik ist, ist die Technologie teilweise schon im Einsatz. Wer nicht einparken will (und es sich leisten kann), delegiert das schon heute an den Computer. Der US-Autobauer Tesla will heuer ein Modell auf den Markt bringen, das dem Fahrer zumindest auf Autobahnen die Steuerung abnimmt. Mercedes verkauft bereits ein derartiges System, verlangt aber noch eine Hand am Lenkrad.

Viele Automobilhersteller haben erkannt, dass sie den Käufern ihrer zigtausend Euro teuren Vehikel zumindest die elektronischen Annehmlichkeiten bieten müssen, die diese von 200-Euro-Smartophones gewöhnt sind. Der elektronische Aufholbedarf ist groß. Heute fließen nur rund sieben Prozent der Herstellungskosten eines Autos in Elektronik. Das wird sich ändern (müssen).

Auch österreichische Firmen verdienen am „Internet der Dinge“ gehörig mit. Das Unternehmen TTTec entwickelte etwa die Systeme, die es Autos erlauben, auf ein Ereignis zu „reagieren“, noch bevor es passiert. So kann das Auto Kurven erkennen und einlenken oder rechtzeitig abbremsen, bevor es ein Hindernis berührt.

Aber nicht nur auf der Straße hält die vernetzte Welt Einzug. Es gibt kaum einen Gegenstand, dem die Branche keinen Chip verpassen will. So finden sich auf der CES Blumentöpfe, die nicht nur die Versorgung ihrer grünen Bewohner überprüfen, sondern sie auch selbstständig gießen. Kameras mit Gesichtserkennung, die ihre Besitzer warnen, wenn sich Fremde in der Wohnung aufhalten. Zahnbürsten, die aufschreien, wenn nicht gründlich genug geputzt wurde. Oder Kuriositäten wie einen Antistresshelm. Dieser misst mittels Sensoren seinen Träger und wertet die Daten aus. Ist man angespannt, spielt er beruhigende Musik.


Sicherheit als Stolperstein. Im Stress, die Zukunft jedes Jahr neu erfinden zu müssen, legen die Technologiefirmen ein Tempo vor, das nicht allen lieb ist. Die vernetzte Zukunft klingt zwar irgendwie praktisch, aber auch unheimlich. Schließlich wird jeder einst harmlose Gegenstand, der mit Computerchips „intelligent“ gemacht wurde, auch zum Einfallstor für Hacker. Und was passiert mit den Daten, die all die schlauen Dinge über uns sammeln?

Auch viele Regierungen stehen daher noch eher auf der Bremse. So räumte der frühere US-Vizepräsident Dick Cheney vergangenes Jahr ein, dass er die Wi-Fi-Funktion seines implantierten Defibrillators 2007 ausschalten ließ, da er fürchtete, ein Terrorist könnte seinem kranken Herzen quasi per Knopfdruck Stromschläge verpassen. Auch auf dem Weg zum fahrerlosen Auto sieht die Boston Consulting Group Sicherheitsbedenken als Stolpersteine.

Wer all das nicht will und sich trotzdem auf die CES verirrt hat, ist auch auf seine Kosten gekommen. Denn nirgendwo kann man besser in die bunte Fantasiewelt der Gadgets eintauchen als hier. Gleich mehrere Produzenten stellten schwebende Lautsprecher an. Intel zeigte einen Computer, so klein wie ein Knopf. Wer auf Nummer sicher gehen wollte, griff zum wohl einzigen Stück „brandneuer Technik“, das zwar an jeder Ecke zu sehen war, aber trotzdem nicht so bald mit dem Internet verbunden sein wird: zum Selfie-Stick.

Ein Blick auf die Straße ist nicht notwendig. Die Navigation übernimmt der Computer.

Die vernetzte Zukunft klingt zwar praktisch, aber für viele auch unheimlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

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