Tokio: Luxusgut Quadratmeter

(c) EPA (DAI KUROKAWA)
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Tokio zählt zu den teuersten Städten der Welt. Seit vor 25 Jahren eine der größten Immobilienblasen der Geschichte geplatzt ist, wird die Kluft beim Wohnen immer größer.

Hinter einer schweren Metalltür eines kargen Treppenhauses protzt sie, diese bis ins letzte Detail durchgestylte Luxuswohnung: Adam German, ein wuchtiger Mann im lockeren Anzug, dreht den Schlüssel um. „Herein bitte. Das hier ist wirklich eines unserer besonderen und gleichzeitig günstigsten Objekte. Alles vom Designer gemacht.“

Schon die 60 Quadratmeter an sich sind ein Luxus. Die Wohnung ist nicht nur groß, sie liegt auch kaum zehn Gehminuten von der am stärksten frequentierten Fußgängerkreuzung der Welt, mitten in Tokios Szeneviertel Shibuya, entfernt. In der mit 35 Mio. Menschen größten und zugleich wirtschaftskräftigsten Metropole der Welt ist die Bevölkerungsdichte höher als fast überall sonst. Platz ist Tokios ärgste Mangelware. Die Wohnung ist der verlässlichste Wohlstandsindikator der Stadt.

Regelmäßig landet Tokio im weltweiten Vergleich der teuersten Städte auf Platz eins. Dafür sind auch Superreiche verantwortlich. Hier und in Hongkong investierten zuletzt die meisten Milliardäre in den Wohnsektor. Nach einer Analyse der Immobilienfirma Savills kosten rare Grundstücke um die 1500Quadratmeter mehr als 100 Millionen Euro.

Nicht, dass hohe Preise etwas Neues wären. 25 Jahre ist es her, dass hier eine der größten Immobilienblasen der Geschichte geplatzt ist. Sie hat in eine wirtschaftliche Stagnation geführt, in der das Land bis heute verharrt. Der Bubble Crash, wie ihn die Japaner kennen, hat eine Zäsur markiert. Der damals noch zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt hat sie auch das Ende einer Gesellschaft beschert, in der Einkommen recht gleichmäßig verteilt waren.

„Leben kostet hier etwas“, sagt Adam German ein bisschen bitter und etwas stolz, als er durch die Edelwohnung schlendert. Als der Kanadier vor elf Jahren nach Tokio kam, war er noch empört. „Dass alles teuer sein würde, war mir klar. Aber als ich hier suchte, konnte ich es dann doch nicht glauben.“ Für eine kleine Einzimmerwohnung, die Küche, Schlafzimmer und Eingangsbereich in einem eher mickrigen Raum vereinte, waren schon damals Mieten um die 1000 Euro üblich.

„Diese Wohnung ist größer als meine eigene. Aber mein Geschmack ist sie nicht, eher etwas für exzentrische Japaner“, sagt German, der für das führende Maklerbüro Housing Japan arbeitet. Die Wände sind an vielen Ecken nur flüchtig mit Putz verschmiert, sonst prägt nackter Backstein die Räume; an der Decke verlaufen Rohre durch die Zimmer. Dass der Deckenschutz abgetragen wurde, passt aber zum Stil und schafft auch höhere Räume in dieser Tokioter Enge. Nobel wirkt die Wohnung allemal: High-End-Kühlschrank, Rolltüren und Regale aus edlem Holz. Teure Leuchten hängen tief in die zweieinhalb Schlaf- und Wohnzimmer.

Das Objekt „Shibuya Wealth Mansion“ („Wohlstandsvilla Shibuya“) kostet 50 Millionen Yen, also 360.000 Euro. Ein „richtig guter Deal“, meint German. Anfangs war sie auch teurer. „Aber wir bedienen damit ein kleines Kundensegment.“ Gedacht ist sie für Manager, Unternehmer oder Ärzte. „Leute, die ihren Wohlstand zeigen können.“


Geldregen. Eine Familie mit zwei Kindern kann heute froh sein, wenn sie 50 Quadratmeter hat. Die Tokioter Standardwohnung für Singles, die auch German einmal bewohnt hat, ist wie ein Schlauch: Einem kleinen Eingangsbereich, in dem sich Schuhe und Jacken stapeln, folgt eine voll gepackte Küchenzeile mit etwas Stauraum darüber, auf der anderen Seite liegt das Bad. Geradeaus die Tür zum Wohnzimmer, das auch Schlafzimmer und immer häufiger Arbeitsplatz sein muss. Zwischen die dünnen Wände passen 16 oder 17Quadratmeter, von denen jeder genutzt wird.

Vor einem Vierteljahrhundert hätte der Durchschnittsjapaner zumindest noch darüber nachdenken können, irgendwann in eine Wohnung zu ziehen wie die „Shibuya Wealth Mansion“. Aber diese Ära scheint vorbei.

Angetrieben durch niedrige Zinsen blähte sich in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre eine Immobilienblase auf. Einen märchenhaften Stand von 37.189 Punkten zeichnete der Börsenleitindex Nikkei am 1.Januar 1990. Japans Wirtschaft erreichte Wachstumsraten von fünf Prozent, die Marktkapitalisierung an der Börse machte ein Drittel der ganzen Welt aus. An den Straßenrändern winkten Angestellte mit Geldscheinen Taxis herbei, Nachtklubs boomten trotz wahnwitziger Preise. Immobilien wurden gekauft, verkauft, weiterverkauft. So rasant stiegen die Preise an, dass sie in einigen Gegenden Tokios 350-mal so hoch wie in New Yorks Nobelviertel Manhattan waren. Das Land unter dem Kaiserpalast im Zentrum soll sogar mehr wert gewesen sein als der gesamte US-Bundesstaat Kalifornien.

Doch Ende 1989 gelangten die Experten der Bank of Japan zu der Überzeugung, dass es sich nur noch um eine Blase handeln könnte, die früher oder später platzen müsste. Die Zentralbanker hoben die Zinsen sofort an, womit sie den Spekulanten die Zuversicht auf weitere Preisanstiege entzogen. In den folgenden Monaten halbierte sich der Wert des Nikkei. Ähnlich schnell, wie Japans Wirtschaft zuvor gewachsen war, raste das Land nun in eine Rezession.

2004, als Adam German in die Stadt kam, hatte Tokios Immobilienmarkt noch ein Zehntel des Werts aus Zeiten des Booms. So groß war dieser Börsenschock, dass Unternehmen und Haushalte nach und nach ihr Vertrauen in einen erneuten Aufschwung verloren. Betriebe hörten auf zu investieren, Familien sparten fortan lieber als auszugeben. Eine Spirale fallender Preise folgte, auch bekannt als Deflation.

Dieser Befund liest sich wie ein Szenario, das heute auch Europa ins Haus stehen könnte. Nachdem 2008 die Finanzkrise den Kontinent überschwemmt hat, hat sich im Westen die Angst vor einer Deflation breitgemacht, die kein Land so gut kennt wie Japan. Das Paradoxe dabei: Zwar müssten fallende Preise eigentlich jeden Käufer erfreuen. Aber durch das gleichzeitige Ausbleiben des Wirtschaftswachstums fallen auch die Realeinkommen seit Jahren. Jeder dritte Japaner hat keinen festen Job, kann so gut wie nicht sparen.

Den Schlüssel zur „Shibuya Wealth Mansion“ hat Adam German wieder von außen umgedreht. Im Toyota seines Arbeitgebers stottert er durch den Abendverkehr. „Momentan sind wir aber sicher, dass es erstmals nur noch bergaufgeht“, murmelt German, die Augen auf die Straße gerichtet. Die Zinsen seien ja schon lang niedrig, Tokio wachse weiter unaufhaltsam. Und in Zeiten der globalen Unsicherheit gelten Metropolen, zu denen auch europäische Städte wie London, Berlin oder Wien zählen, für Investoren als sichere Häfen. Zudem veranstaltet Tokio in fünf Jahren die Olympischen Spiele.

Diese Entwicklungen werden wohl abermals Gewinner und Verlierer hervorrufen. Die Zahl der Geringverdiener nimmt weiter zu, die der Obdachlosen auch. Internetcafés und billige Röhrenhotels sind längst zu beliebten Domizilen von Wohnungslosen geworden. Gleichzeitig gibt es immer mehr Singlehaushalte. „Gutes Wohnen wird in Zukunft noch mehr zum Luxus werden“, sagt German, als er den Motor abstellt und die Fahrertür zuschlägt.

Sein Wagen parkt jetzt vor einem anderen Objekt in Minato, einem weiteren Stadtviertel der Wohlhabenden. Vier Schlafzimmer, 158 Quadratmeter, 6100 Euro Monatsmiete. Ganz oben bietet ein Dachgarten einen Blick auf die Skyline voller Bürotürme in Tokios westlichem Zentrum. „Schön, oder?“, fragt Adam German.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2015)

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