Eurozone: Die Politik als neues Risiko

Yves Zlotowski
Yves Zlotowski(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Kreditversicherer Coface warnt vor radikalen Parteien, sieht eine Deflationsfalle für den stark verschuldeten Unternehmenssektor – und lobt neue Schwellenländer-Stars.

Paris. Wo die Gefahr lauert und wo die Hoffnung erwacht, ist trotz genauer Zahlen und Prognosen nie ganz ungefärbt zu fassen. Coface, einer der weltweit größten Versicherer von Unternehmen gegen die Zahlungsausfälle ihrer Kunden, hat in seiner Jahreskonferenz in Paris die speziellen Risken rund um den Globus zu fassen versucht. Und dabei sauber gearbeitet: Dass etwa hierzulande das Ziel eines strukturell ausgeglichenen Staatshaushalts nicht hält, kündigt der Coface-Länderbericht zu Österreich bereits an.

Auch der Warnung, dass durch den Siegeszug radikaler Parteien das politische Risiko in die Eurozone zurückkehrt, konnten fast alle Gäste folgen. Nach dem Syriza-Jubel der Griechen droht Vertrauensverlust für eine weit wichtigere Volkswirtschaft: Spanien wählt im Dezember, in Umfragen liegen die neuen Linkspopulisten von Podemos vorn. In Frankreich nehmen Radikale von links wie rechts die etablierte Politik in die Zange.

Aber was ist mit der Geldlawine der EZB? Wenn französische Ökonomen mit Kollegen aus Spanien, Italien und Großbritannien über die Eurokrisenpolitik diskutieren, klingt das ganz anders als bei einer deutschen Veranstaltung. Draghi erhält uneingeschränkten Applaus. Anleihenkäufe rauben Krisenstaaten jeden Anreiz zu Reformen und zerstören das Vertrauen in eine unabhängige Geldpolitik? In Paris kein Thema. Es drohen Blasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten? Mag sein, räumt Coface-Chefökonom Yves Zlotowski ein. Aber es gebe eben keine „Wunderlösung“. Alles habe Nebenwirkungen: „Man muss sich die Hände schmutzig machen.“

Firmenschulden bleiben hoch

Dafür hält der Risikoschätzer eine mögliche Deflation, die das 1,14-Billionen-Euro-Geschütz bekämpfen soll, für höchst gefährlich. Er erinnert an die immer noch hohen Schuldenquoten des Unternehmenssektors in vielen Ländern – vor allem in Spanien, Portugal und Irland. Im Schnitt der Eurozone (und in Österreich) sind die Schuldenstände der Firmen höher als die Wirtschaftsleistung eines Jahres – und seit 2009 kaum gesunken.

Bei einer Deflation verteuert sich die Last ihrer Schuld. Dann werden sie sicher nicht investieren, sondern nur noch Schulden abbauen – eine Falle für die Konjunktur. Erst wenn das Zuschnappen nicht mehr droht, stelle sich für Unternehmen die Frage, ob sie Vertrauen in die Zukunft haben und tatsächlich investieren. Draghis hoch dosierte Medizin sei deshalb notwendig, verschaffe aber nur Raum und Zeit für Reformen, die notwendig bleiben.

Weiter geht der oberste Wirtschaftsstratege der französischen Regierung. Für Jean Pisani-Ferry „schafft Budgetdisziplin kein Vertrauen“ – schärfer lassen sich die Differenzen in der ökonomischen Weltsicht dies- und jenseits des Rheins kaum fassen. Es gebe auch „keine gesunde Deflation“, wie sie deutsche Ökonomen preisen – durch die Anpassung von Löhnen und Preisen, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Deshalb scheut der Stratege auch Strukturreformen, die „zu einer niedrigen Inflation beitragen“. Es empfiehlt stattdessen Maßnahmen „mit neutralem Effekt“. Damit meint Pisani-Ferry aktuelle Pläne von Wirtschaftsminister Macron, wie eine Sonntagsöffnung oder einen weniger geschützten Markt für Notare.

China macht Sorgen

Dass solche Minireformen ausreichen, um Frankreichs Probleme zu lösen, glaubt man freilich bei Coface nicht: Das Urteil über den Heimmarkt fällt streng aus. Kein Wunder: Die Zahl der Insolvenzen ist dort, bei gleicher Gesamtzahl an Unternehmen, mit knapp 63.000 zweieinhalbmal so hoch wie in Deutschland. Die drittbeste „Rating“-Stufe A3 aber bleibt (Österreich hat sich die höchste Stufe A1 im Vorjahr zurückgeholt).

Anders als bei Ratingagenturen geht es Coface aber nicht um die Ausfallsgefahr von Staatsschulden, sondern um das Pleiterisiko von Firmen, was ein breiteres Bild jedes Landes ergibt. Russland wurde schon im Herbst auf den vorletzten Rang C verbannt. Neue Sorgen bereitet China, dessen A3 einen negativen Ausblick erhält. Dabei geht es weniger um das schwächere Wachstum (es ist immer noch höher als die jährliche Wirtschaftsleistung der Schweiz) als um die extrem hohen Unternehmensschulden. Für kleinere Firmen spitze sich die Lage zu, weil sie nur noch bei Schattenbanken Kredite zu Wucherzinsen bekommen.

Voll des Lobes aber sind die Coface-Analysten für die USA, wo der Privatsektor seine Schulden reduziert und damit die Basis für ein erneut kräftiges Wachstum geschaffen hat. Sie sehen aber auch neue, bisher wenig beachtete Stars unter den Schwellenländern: Vietnam, Indonesien und die Philippinen in Asien, Peru und Kolumbien in Lateinamerika. In diesen Volkswirtschaften laufe derzeit so ziemlich alles in die richtige Richtung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2015)

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