Schweiz: Auf die harte Tour

Wunderschöne Berge in der Schweiz
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Vier Wochen mit dem starken Franken. "Die Presse am Sonntag" hat in der Schweiz gefragt, wie Hoteliers und Exporteure darunter leiden, und wer davon profitiert.

St. Margrethen in der Schweiz ist kein bemerkenswerter Ort und das Restaurant Il Fiore kein vielfach ausgezeichnetes Lokal. Es gibt hier kein einzigartiges Skigebiet, das Reiche und Schöne anlocken würde, und das Il Fiore steht in keinem Gourmetführer. Wer allerdings nach einem gemütlichen Abendessen die Rechnung bekommt, glaubt, in einem prämierten Haubenlokal in Lech oder Kitzbühel gegessen zu haben.

Spaghetti Bolognese 16,50 Franken; ein kleiner Salat 6,50 Franken; eine Pizza Quattro Formaggi 18 Franken; mariniertes Rindfleisch als Vorspeise 22,50 Franken; ein Kalbsschnitzel 32 Franken. „Die Schweiz“, erklärt Besitzer Nicola Lombardi schulterzuckend. Kein Wunder, dass sein Lokal oft gähnend leer ist. Denn das zeichnet St.Margrethen doch aus: Es ist keine fünf Minuten von Österreich entfernt, wo zwei Personen für den Preis eines Schnitzels bei Nicola Lombardi ein ganzes Menü bekommen – inklusive Getränke.


Zum Einkaufen nach Österreich. Seit die Nationalbank in Zürich den Frankenkurs freigegeben und dieser fast Parität mit dem Euro erreicht hat, ist Österreich das Schnäppchenland für alle Schweizer geworden. Man sieht es auf den Parkplätzen der Einkaufszentren in Vorarlberg oder hört es in den Lokalen: Die Schweizer sind in Massen hier. Mit allen Folgen für Geschäfte und Restaurants in der Schweiz.

„Wir spüren deutlich, dass weniger Menschen essen kommen“, erklärt Lombardi. Preislich könne er nie mit Österreich mithalten, weil die Nahrungsmittel in der Schweiz teuer und die Löhne hoch seien. Das sieht man auch bei Migros, der größten Schweizer Supermarktkette. Ein Kilogramm Schweinsfilet kostet hier 54 Euro, eine Fertigpizza 6,90 Euro und ein Liter Milch 1,55 Euro. „Natürlich ist es teuer im Vergleich zum Euroland“, meint Claude, der seinen Einkaufswagen im Migros im EKZ Rheinpark füllt. „Aber wir verdienen auch sehr gut in der Schweiz.“ Der Verlockung des wenige Minuten entfernten Österreich widersteht er. Es sei geradezu „eine patriotische Pflicht“, in Zeiten wie diesen in der Heimat einzukaufen.

Tausende andere Schweizer erfüllen diese jedenfalls nicht. Im Einkaufszentrum Messepark in Dornbirn hört man vor allem Schwyzerdütsch. „Am Wochenende sind sicher weit mehr als die Hälfte unserer Kunden Schweizer“, sagt Hannes Tratter, Leiter des Interspar im EKZ. Der Einkaufstourismus aus der Schweiz sei immer groß gewesen, seit der Freigabe des Franken-Kurses habe er aber noch einmal deutlich zugelegt.


Löhne in Euro. Aber nicht nur die Händler in grenznahen Regionen leiden unter dem starken Franken. Vor allem die Exportwirtschaft des kleines Landes, dessen Waren im Ausland nun deutlich teurer sind, wurde von der Schweizer Nationalbank kalt erwischt.

„Mein Buchhalter ist ins Büro gelaufen und hat gesagt: Es ist etwas Dramatisches passiert!“, erinnert sich Carl Elsener an jenen Donnerstag vor vier Wochen. Auf den Bildschirmen habe man zusehen können, wie der Euro mit jeder Minute gegenüber dem Franken verfalle, sagt der Chef des Schweizer Traditionsbetriebs Victorinox aus Ibach, weltbekannt für seine Schweizer Taschenmesser. Sein Urgroßvater, Karl Elsener, hat die berühmten Messer vor über 130 Jahren erfunden, immer noch sind sie der Exportschlager des Unternehmens.

Nur verdienen kann Victorinox seit Mitte Jänner nicht mehr allzu viel mit ihnen. Vier von zehn Messern werden zu Europreisen in der EU verkauft, bezahlt mit einer Währung, die in der Schweiz plötzlich um gut zwanzig Prozent weniger wert ist. „Eigentlich müssten wir die Preise um 20 bis 25 Prozent erhöhen“, sagt Elsener. Zehn Prozent will er den Europäern heuer tatsächlich zumuten. Dabei hat der Unternehmer noch Glück: Taschenmesser sind nicht sonderlich preissensibel. Wer ein echtes Schweizer Taschenmesser haben will, kommt an Victorinox nun einmal nicht vorbei. Da dürfte es die Kunden auch wenig stören, dass etwa der Swiss Champ in Österreich bald 77 statt 70 Euro kosten wird.

Die Schweizer Käsehersteller haben es da schon schwerer. Derzeit versucht der Handel noch mit Rabattaktionen, den Schweizer Käse unter die Leute zu bringen. Doch bald könnten Appenzeller, Gruyère und Emmentaler hierzulande neben der österreichischen Konkurrenz schon wie Luxusgüter wirken. Die Landwirte sind mit ihrem Schicksal nicht allein. Drei Viertel der Schweizer Exporteure waren nicht gegen eine plötzliche Aufwertung des Franken abgesichert. Ihre Antworten auf die drastische Lage sind unterschiedlich. Während die Milchbranche unverhohlen nach staatlichen Hilfspaketen ruft, versucht es der weltgrößte Uhrenhersteller, Swatch, mit Preiserhöhungen. Etliche Betriebe bauen aber auch Jobs ab oder wollen ihre Mitarbeiter in Grenzregionen nur noch in Euro bezahlen. Die Schweizer Gewerkschaft läuft freilich Sturm gegen „illegale Eurolöhne“ und auch für Victorinox-Chef Elsener ist das kein Weg. Er will keinen einzigen Mitarbeiter entlassen und ist zuversichtlich, dass es gelingt.

Sein Unternehmen habe schließlich schon Schlimmeres erlebt: „Für uns ist das der größte Schock seit 9/11“, erzählt der Unternehmenschef. Nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center wurden Taschenmesser über Nacht aus dem Handgepäck der Passagiere verbannt, das Geschäft von Victorinox auf den Flughäfen brach weg, der Umsatz rasselte um ein Drittel nach unten. Seitdem erzeugt das Unternehmen auch Reisegepäck, Uhren oder Parfum, um das Risiko auf unterschiedliche Produkte zu verteilen.

Zur Not müssten seine Mitarbeiter nun eben Überstunden abbauen oder auf Halde produzieren, sagt Elsener: „Das Taschenmesser ist klein, nicht stark der Mode unterworfen und nicht verderblich.“ Das könne man schon eine Weile lagern. Auch das ist ein Vorteil, den er gegenüber den Käseherstellern hat. Nach Hilfe vom Staat zu rufen, kommt dem 56-Jährigen nicht in den Sinn. „Ich bin überzeugt davon, dass der Staat gar nicht eingreifen sollte. Das hilft immer nur kurzfristig und kann langfristig kontraproduktiv sein.“

Misstrauen gegenüber Staatshilfen. Im Schweizer Tourismus sehen das nicht alle so. Die Hoteliers des Landes leiden seit dem hohen Franken-Kurs extrem unter dem Ausbleiben der ausländischen Gäste. Frank Bumann, Direktor von St. Gallen-Bodensee-Tourismus, forderte deshalb in Schweizer Medien bereits „staatliche Soforthilfen“ für die Branche. Ausländische Gäste sollten gratis mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren dürfen und die Nationalbank ein Prozent des zusätzlichen Gewinns an den Tourismus abliefern.

Doch die meisten Eidgenossen verlassen sich auch in dieser Branche doch lieber auf sich selbst: „Einfach wird es nicht, da muss man durchhalten“, sagt Evelien Schnyder-Zurbriggen. Die gebürtige Tirolerin führt gemeinsam mit ihrem Mann das Hotel Jägerhof in Saas Fee im Kanton Wallis. Seit „das mit dem Franken“ passiert ist, seien die Buchungen von ausländischen Gästen um 40 Prozent eingebrochen. „Derzeit fehlen uns vor allem die spontanen Besucher, die kurzfristig buchen“, sagt sie. „Zum Glück haben wir viele Gäste aus der Schweiz.“

Die Schweizer sind für ihr Heimatland die wichtigste Gästegruppe. Deren Marktanteil betrug im vergangenen Jahr 44,6 Prozent. Österreichische Touristen spielen mit knapp über einem Prozent Marktanteil eine vernachlässigbare Rolle. Aber auch die größte ausländische Gästegruppe kommt aus Euroland, es sind die Deutschen mit rund zwölf Prozent.

Urs Weber, Marktmanager von Schweiz-Tourismus in Österreich, ist in Sachen starker Franken sichtlich um Deeskalation bemüht: „Natürlich ist das erst einmal ein Schock. Wir wollen aber nicht mit Hauruck-Aktionen darauf reagieren.“ Vereinzelt gibt es in der Schweiz aber bereits Maßnahmen, um verschreckte Gäste zu locken. So haben sich die Skiregionen Arosa-Lenzerheide (Graubünden) zu einer Aktion „Wir bieten Mehrwert“ zusammengeschlossen. Arosa bietet in den Monaten März und April zwanzig Prozent Preisnachlass für alle, die mehr als vier Nächte buchen. Die Nutzung der Ortsbusse und eine kostenlose Schlittenfahrt gibt es obendrauf.


Skiort mit eigenem Wechselkurs. Die Gemeinde Grächen im Kanton Wallis hat sich etwas anderes einfallen lassen: Sie bietet den Gästen vom siebenten März bis zum zwölften April einen fixen Euro-Franken-Wechselkurs von 1,35 an. Die Aktion ist nicht neu: „Wir machen das bereits seit 2011“, sagt Marketingleiterin Beatrice Meichtry. Das Angebot gilt für die gesamte Infrastruktur, fast alle Hotels und Ferienwohnungen machen mit, auch die Bergbahnen und die Sportgeschäfte.

„Mit den Preisen runterzugehen, würde uns allen das Genick brechen“, ist hingegen Hoteliere Evelien Schnyder-Zurbriggen überzeugt. Ihr Hotel hat, wie die meisten Schweizer Hotels, unter 20 Betten – da sind die Margen ohnehin nicht sehr hoch.

Billiger zu werden hält auch Urs Weber nicht für die richtige Lösung. „Wir waren schon immer ein hochpreisiges Produkt. Wir werden nie Massentourismus anbieten. Wo immer es überhaupt noch möglich ist, wird jetzt an den Kostenschrauben gedreht.“ Genau das macht auch Schnyder-Zurbriggen: Sie wird heuer im Jägerhof die Halbpension streichen und auf Zimmer mit Frühstück umstellen. „Das buchen ohnehin die meisten Gäste, und ich kann Personalkosten sparen.“

Steckbrief

Die Schweiz ist wirtschaftlich stark von Exporten abhängig. Jedes Jahr exportiert sie Produkte im Wert von einem Drittel des jährlichen BIPs. Der starke Franken macht die Produkte der Eidgenossen nun deutlich teurer. Schweizer Käse und Schokolade sind zwar die bekanntesten Exportgüter des Landes. Deutlich wichtiger sind jedoch Uhren und Arzneimittel.

Der Tourismus trägt rund drei Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei. Die Schweizer sind mit 44,6 Prozent Marktanteil mit Abstand die wichtigste Gästegruppe. Darauf folgen die Deutschen mit rund zwölf Prozent. Alle anderen Länder bewegen sich im niedrigen einstelligen Bereich. Österreichische Gäste haben nur rund ein Prozent Marktanteil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

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