Griechenland: Wo Tsipras noch abbiegen kann

A Greek national flag flutters atop the parliament building during sunset in Athens
A Greek national flag flutters atop the parliament building during sunset in Athens(c) REUTERS (ALKIS KONSTANTINIDIS)
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Ohne neues Hilfsprogramm der Euro-Partner, das die Regierung in Athen derzeit verweigert, schlittert das Land in den Bankrott. Wird Finanzminister Yanis Varoufakis Opfer seiner eigenen Spieltheorie?

Wien/Brüssel/Athen. Griechenland läuft die Zeit davon: Nur noch bis übermorgen, Freitag, wollen die EU-Partner mit der Regierung in Athen nach einer Lösung im sich zuspitzenden Schuldenstreit suchen. „Wir können diese Woche nützen, aber das ist es dann“, warnte Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Gibt es in den kommenden 48 Stunden keine Einigung auf weitere Finanzhilfen, ist die Zukunft des Landes völlig ungewiss. Am 28. Februar läuft das Hilfsprogramm der internationalen Geldgeber aus; danach droht der Finanzkollaps.

Die Lage war zu keinem Zeitpunkt des knapp fünf Jahre währenden griechischen Schuldendramas bedrohlicher. Dennoch pokern die Regierungsvertreter hoch, die Zustimmung der eigenen Bevölkerung im Rücken. Selbstbewusst ließ Finanzminister Yanis Varoufakis ein Treffen der Euro-Gruppe am Montagabend platzen – das zweite innerhalb einer Woche. Sein Verhalten folgt einem Modell der Spieltheorie, für die der 53-Jährige seit Studienzeiten Experte ist (siehe auch Artikel Seiten 2–3): Es beruht auf dem Prinzip, dass man den Gegner nur mit Ausschöpfen des größtmöglichen Risikos besiegen kann.

Taktik mit hohem Risiko

Dass diese Taktik aufgeht, ist mehr als unsicher. Vertreter der Euro-Gruppe wiederholen seit Wochen gebetsmühlenartig, was ohnehin seit dem fulminanten Wahlsieg der linksradikalen Syriza am 25. Jänner offensichtlich ist: Im Gegenzug für Finanzhilfen der internationalen Geldgeber sind Reformversprechen einzuhalten. Die aus heutiger Sicht einzige Lösung für weitere Hilfsgelder der EU dürfte also ein Antrag Athens auf eine Verlängerung des laufenden Programms sein. Das aber hat Varoufakis mehrmals ausgeschlossen.Auch Tsipras bekräftigte am gestrigen Dienstag, nicht zu Kompromissen bei seinen weitreichenden Wahlversprechen – die vor allem ein Abrücken vom restriktiven, unbeliebten Sparkurs umfassten – bereit zu sein.

Bei einem Sondertreffen der Euro-Gruppe am Freitag könnte es zum Showdown kommen. „Die Presse“ hat die drei möglichen Optionen für die Zukunft Griechenlands zusammengefasst.

Eurozone

Noch könnte bis Ende Februar ein Kompromiss mit Griechenland ausgehandelt werden. Laut Euro-Gruppen-Chef Dijsselbloem ist der Zeitplan nur noch zu halten, wenn die griechische Regierung bis Freitag einlenkt. Sie müsste einen Antrag auf Verlängerung des Hilfsprogramms stellen und damit weitere Kontrollen und Reformen akzeptieren. Die Troika aus Vertretern der Gläubiger könnte zwar umbenannt werden, sie würde aber weiterhin die Arbeit der griechischen Politik und der Behörden begutachten. Die Euro-Partner drängen Athen zur Fortsetzung des Programms, weil damit ihre bisherigen Haftungen abgesichert wären und ein Zerfall der Eurozone abgewendet wäre.

Vorerst geht es nur um ein Übergangsprogramm für ein halbes Jahr. Angedacht sind weitere Kredite aus dem Euro-Rettungsschirm in Höhe von rund 18 Milliarden Euro. Damit könnte der Staatshaushalt in den nächsten Monaten liquid bleiben. Die Zinsen für diesen Notkredit wären minimal. Bis Herbst müsste dann zwischen den Euro-Partnern, der EU-Kommission, der EZB, dem IWF und der Regierung unter Alexis Tsipras über eine langfristige Lösung verhandelt werden. Eine Streckung der Kredite wäre möglich. Ob dies so weit geht, dass Staatsanleihen zu einem Teil in „Ewigkeitsbonds“ umgewandelt werden, wie es die griechische Führung fordert, ist fraglich. Das käme einem Schuldenschnitt gleich, der von den Euro-Partnern und der EZB abgelehnt wird. Ein Entgegenkommen darf Finanzminister Yanis Varoufakis bei der Ausgestaltung des Reformprogramms erwarten. Dabei dürfte es diesmal mehr Spielraum für die griechische Politik geben. Im Gegenzug müsste sich diese aber an die vereinbarten Sparziele halten.

Grexit

Und wenn nichts mehr geht, kein Ausweg genutzt, kein Kompromiss vereinbart wird? Dann geht Griechenland im Lauf dieses Jahres bankrott. Ein Vorgang, der sich in der europäischen Geschichte oft wiederholt hat. Ein Staat wird zahlungsunfähig, kann keine Löhne an seine Staatsbediensteten mehr zahlen. Die Gläubiger müssten einen Teil der griechischen Staatsanleihen abschreiben. Derzeit ist das Land mit 323 Milliarden Euro verschuldet. 60 Prozent davon bei den Europartnern, 15 Prozent beim IWF, sechs Prozent bei der EZB.

Schon wenn sich eine Pleite abzeichnet, müsste die Regierung in Athen als erste Maßnahme den Geldfluss stark eindämmen, um einen Banken-Run zu verhindern. Geld dürfte nur noch in geringen Mengen abgehoben und nicht mehr außer Landes transferiert werden. Diese Blockade würde die Wirtschaft des Landes unmittelbar treffen. Da die EZB einem Pleiteland kein Geld mehr zur Verfügung stellen darf, um dessen Banken liquid zu halten, würde das Finanzsystem des Landes nach und nach zusammenbrechen. Logische Folge wäre, dass die griechische Notenbank selbst Geld druckt. Dies käme dem Austritt aus dem Euro gleich. Dieser Grexit ist rechtlich nicht vorgesehen. Wenn kein politischer Kompromiss – etwa über die Einführung einer vorübergehenden Parallelwährung – gefunden wird, müsste Griechenland die EU verlassen.

Im Land selbst hätte ein Ende des Euro fatale Folgen: Sparguthaben würden über Nacht an Wert verlieren. Alle Importe – Griechenland ist in großem Maß von Lebensmittelimporten abhängig – würden deutlich teurer. Es ist mit einer weiter ansteigenden Arbeitslosigkeit zu rechnen. Vorteile hätte vor allem der Tourismus. Der Aufenthalt in griechischen Hotels würde für Gäste aus der EU deutlich günstiger.

Russland

Auch wenn Finanzminister Yanis Varoufakis beteuert, keinen Plan B zu den Finanzhilfen der europäischen Geldgeber zu haben – so wirklich glauben will das nach den Entwicklungen der vergangenen Tage niemand mehr. Wenn die EU-Partner die Geduld verlieren, könnte Griechenland nämlich auch in Moskau um finanzielle Unterstützung ansuchen. Ein Schritt, den Außenminister Nikos Kotzias bereits vergangene Woche vorbereitet hat: Der Besuch bei seinem russischen Amtskollegen, Sergej Lawrow, war durchaus von Erfolg gekrönt. So sagte Lawrow zu, einen möglichen Antrag auf Finanzhilfen zumindest überprüfen zu wollen. Im Gegenzug würde Athen die Sanktionspolitik der EU gegen Russland in der Ukraine-Krise torpedieren. Schon kurz nach seinem Wahlsieg hat Alexis Tsipras damit gedroht, keine weiteren Sanktionen gegen Moskau unterstützen zu wollen. Doch nicht nur Russland, auch China ist ein möglicher Geldgeber der Griechen. Ministerpräsident Li Keqiang lud Tsipras bereits nach Peking ein. Der Termin steht noch nicht fest, das Bestreben schon: Die Beziehungen beider Länder sollen „vertieft und erweitert“ werden.

Kurzfristige Anleihen

Ein Scheitern der Verhandlungen mit den EU-Partnern könnte die griechische Regierung aber zunächst auch dazu veranlassen, die staatlichen Ausgaben über kurzfristige Anleihen zu finanzieren. Zuletzt hat Athen sich vor einer Woche frisches Geld auf dem Kapitalmarkt besorgt. Der Zinssatz für die Papiere war mit 2,5 Prozent höher als im Vormonat – und dürfte weiter steigen. Daher könnte die Links-rechts-Regierung auch staatliche Zwangsanleihen für reiche Griechen begeben – und so an niedrig verzinstes Geld gelangen.

www.diepresse.com/grexit

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2015)

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