Siemens-Chef Hesoun: „Wir können jetzt nur nach vorn schauen“

Siemens-Österreich-Chef Wolfgang Hesoun
Siemens-Österreich-Chef Wolfgang Hesoun(c) Clemens Fabry
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Siemens-Österreich-Chef Hesoun übt Selbstkritik nach dem verlorenen Großauftrag in Wien und wünscht sich, dass Wertschöpfung und Steueraufkommen eines Unternehmens bei Ausschreibungen berücksichtigt werden.

Die Presse: Viele Industriemanager kritisieren den Standort Österreich, fürchten um die Wettbewerbsfähigkeit. Sehen Sie die Entwicklung ähnlich dramatisch?

Wolfgang Hesoun: Wenn wir von der Industrie sprechen, dann geht es nicht nur um die Betriebe als solche, sondern auch um das ganze Umfeld. Wenn man sich das genauer ansieht, haben wir trotz der von Ihnen angesprochenen negativen Entwicklungen eine Steigerung der Wertschöpfung am Standort Wien.

Sie sprechen die ganze Zulieferkette an.

Ja, früher haben die Konzerne viele Leistungen selbst erbracht. Mittlerweile wurde ausgelagert. Und ich rede da nicht nur von der Bewachung und der Küche.

Es sind nicht nur die Semmeln.

Nein. Beim Railjet etwa sind es bis zu 1000 Zulieferer, alle aus Österreich. So ein Werk wirkt in der Region als Beschäftigungsmotor. Deshalb ist es auch wichtig, dass uns die lokalen Kunden die Treue halten. Ich denke da etwa an die ÖBB. Auch das ist wichtig, um in einem Hochlohnland noch produzieren zu können. Denn die Standortpolitik innerhalb eines Konzerns ist sehr simpel: Produktivität steht ganz oben. Und wir sind das kostengünstigste Werk. Nicht nur im Vergleich mit anderen Industrieländern, sondern weltweit.

Aber zumindest ein großer lokaler Kunde, die Wiener Linien, hat sich jüngst bei einem Großauftrag für Straßenbahnen nicht für Siemens, sondern für Bombardier entschieden.

Das war ein großer Auftrag, ich will das nicht kleinreden. Das wirft jetzt zwar keine Probleme im Hinblick auf die Auslastung des Werks auf. Es geht aber um unsere Glaubwürdigkeit. Es geht darum, dass der Kunde unser Produkt mag. Das ist das Hauptproblem. Am meisten schadet uns in der konzerninternen Diskussion, dass sich der lokale Kunde anders entschieden hat, obwohl die Qualität des Produkts – das zeigen alle Umfragen – von der Bevölkerung positiv wahrgenommen wird.

Das Problem liegt beim Kunden, nicht auch bei Siemens selbst?

Ich sage ganz offen, wir müssen da selbstkritisch sein. In so vielen Jahren einer exklusiven Partnerbeziehung gibt es natürlich Abnützungserscheinungen.

Beim Produkt oder in der Beziehung?

Zwischen dem Kunden und uns. Die gab es sehr wohl. Solche Dinge sind natürlich belastend. Dass dies dann am Ende in einen Produktwechsel mündet, ist schade. Aber damit leben wir. Wir können jetzt nur nach vorn schauen. Wir haben eine recht gute Auslastung in Wien. Wir werden uns bemühen, bei den nächsten Vergaben, die anstehen, wieder die Nase vorn zu haben.

Aber wegen ein paar Abnützungserscheinungen geht man doch nicht gleich fremd. So kann doch eine 600-Millionen-Euro-Vergabe nicht ablaufen. Geht es da tatsächlich nur um Beziehungen und Lobbyismus?

Nein, bei der Vergabe war der Preis ausschlaggebend. Ich darf über die Details nicht sprechen, es gibt eine Verschwiegenheitspflicht. Leider spielt es bei derartigen Ausschreibungen auch keine Rolle, wie viel an Wertschöpfung und Steueraufkommen Siemens in Wien beiträgt. So viel zum Thema Standortpolitik.

Spielt Lobbying eine Rolle?

Ich fürchte, dass sich da in der öffentlichen Meinung ein Aberglaube hält. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Lobbyist Einfluss auf einen Vergabevorgang nehmen kann. Bei aller Liebe und Verständnis von politischen Lobbyisten: Es gab hier eine sehr professionell durchgeführte Ausschreibung. Diese hat zu einem Ergebnis geführt, das uns nicht freut. Trotzdem war es professionell.

Also da wird nichts mehr „gepackelt“, wie es der Volksmund nennt und oft vermutet?

Es haben sich die Zeiten stark geändert. Vergabeverfahren sind heute sehr transparente Prozesse. Diese Side-Events haben an Wichtigkeit verloren.

Ist die Beziehung mit der Stadt Wien noch zu kitten?

Ich will jetzt diese eine Vergabe gar nicht so in den Vordergrund spielen. Die Stadt Wien hat für uns nach wie vor eine enorme Bedeutung. Wir sind Partner bei einem der größten Entwicklungsprojekte Europas, wenn nicht weltweit auf dem Gebiet Smart Grid – Stichwort: Seestadt Aspern. Wir sind Kunde und Partner der Wien Energie und vieles mehr. Und diesen verlorenen Auftrag werden wir versuchen zu kompensieren.

Wie?

Wir haben Aufträge in Warschau, München und Riad. Wir kämpfen gerade um einen sehr großen Auftrag im Mittleren Osten. Wenn wir den bekommen, haben wir in den nächsten Jahren keine Probleme mit der Auslastung zu befürchten. Und das hilft mir wiederum, um diesen Standort intern glaubhaft zu machen. Aber das Sahnehäubchen sind natürlich die lokalen Kunden.

Schön, dass es in diesen Zeiten noch Sahnehäubchen gibt. Bleiben den Österreicherinnen und Österreichern nach der Steuerreform auch Sahnehäubchen?

Wir sind kein Niedrigsteuerland, und das ist die höfliche Formulierung. Also nach oben ist kein Spielraum mehr. Nachhaltig kann der Wirtschaftsstandort nur attraktiver werden, wenn die Politik wieder mehr Handlungsfreiheit hat. Bei den angespannten Budgets sind die Möglichkeiten der Politik sehr eingeschränkt. Daran muss sich etwas ändern. Denn ich wünsche mir eine Politik, die aktiv eingreift. Nämlich nicht nur als Auftraggeber, sondern auch gestalterisch – siehe Bildung oder Infrastruktur. Und da funktioniert ein Staat wie ein Unternehmen. Diesen Spielraum gewinnt man nur, wenn man die Kosten in den Griff bekommt. Der Aspekt der Staatsausgaben fehlt mir in der Diskussion.

Wir haben ein Ausgabenproblem.

Ja, da bin ich zu 100Prozent bei Finanzminister Schelling. Mir ist klar, dass das nicht kurzfristig umsetzbar ist. Aber wenn man jetzt nicht beginnt, steht Österreich in spätestens 15 Jahren schlechter da als heute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2015)

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