Etsy: Für die Wallstreet stricken dann die Profis

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Groß wurde Etsy im Internet als Paradies der Hobbybastler. Für den Gang an die der Börse reicht das nicht.

Kann es eine schönere Idee geben? Liebe Menschen stricken daheim hübsche, bunte Wollhauben, oder basteln rustikale Bilderrahmen aus Sperrholz und verkaufen ihre Kunstwerke dann über das Internet an andere liebe Menschen. Ganz ohne böse Fabriken, Konzerne oder gar die verhasste Börse. Viel ethischer, regionaler und menschlicher kann es im Netz doch gar nicht zugehen, oder? Und das Beste daran: Es funktioniert. Im Internet florieren Plattformen, auf denen allerlei Selbstgemachtes vertrieben wird. Der unternehmerische Urvater dieser Bewegung ist bekannt unter dem Namen Etsy. Vor zehn Jahren in Brooklyn gegründet, hat das Unternehmen die Do-It-Yourself-Bewegung im Netz erst groß gemacht.
Jetzt ist für das Unternehmen offenbar die Zeit gekommen, selbst groß zu werden. Am Mittwoch hat Etsy offiziell die Unterlagen für den Gang an die New Yorker Börse eingereicht, um vom Appetit der Anleger auf junge Internetfirmen mitzunaschen. Das Paradies für leidenschaftliche Hobbybastler wird also zum Tickersymbol, zum anonymen Spielball der Investoren.

Der Aufschrei war programmiert. „Etsy verkauft seine Seele!“, klagen die Nutzer der ersten Stunde. Sie tun das nicht ohne Grund: Denn damit auch die Börsianer am Handarbeiten Gefallen finden, haben die Gründer die eine oder andere klitzekleine Änderung am ursprünglichen Konzept vorgenommen. Seit einiger Zeit müssen die selbstgebastelten Schätze zum Beispiel gar nicht mehr selbst gebastelt sein. Etsy erlaubt mittlerweile auch maschinelle Massenproduktion. Hauptsache, die Dinger sehen noch irgendwie nach Vintage aus und verkaufen sich gut.
Welch Verrat an der Bastlerszene! Verlassen haben die meisten Künstler die Plattform interessanterweise trotzdem nicht. Das mag daran liegen, dass es den Kunden offenbar relativ egal ist, dass das schick gehäkelte Handy-Cover doch nicht von der lustigen Oma um die Ecke kommt. Knapp 20 Millionen Käufer zählte Etsy im Vorjahr und mit ihnen 195 Millionen Dollar Umsatz machen. So leicht kommen die Künstler also nicht weg. Dafür machen sie selbst bei Etsy zu viel Kasse.
Klar, von dem Versprechen, mit jedem Produkt auch eine echte Beziehung zwischen zwei Menschen zu verkaufen, ist das Unternehmen ein gutes Stück entfernt. Aber ganz ehrlich: Wen interessieren an der Börse schon Beziehungen und Intimität? Dort sind Wachstum, Skaleneffekte und Profitmargen gefragt. Etsy wird also Mainstream werden – und damit gutes Geld verdienen. Auf der Strecke bleiben alle Überzeugungstäter, die aus Liebe zur Idee das Unternehmen erst groß gemacht haben. Etsy wird auf sie verzichten (müssen). Denn an der Börse kommen die Aktionäre immer zuerst. Egal, wie nett die Idee einmal war.

E-Mails an: matthias.auer@diepresse.com

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