Volkskongress: Die sanfte Landung der Chinesen

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Chinas Wirtschaft soll 2015 „nur“ um sieben Prozent wachsen. Nicht auszumalen, wenn sie bei ihrer heutigen Größe weiterhin um zwölf Prozent zunähme.

Peking. Seit Wochen kursiert unter Ökonomen in China diese Zahl, nun ist sie offiziell: Der chinesische Ministerpräsident, Li Keqiang, hat zum Auftakt des diesjährigen Volkskongresses das Wachstumsziel gesenkt. Um nur noch „etwa sieben Prozent“ werde Chinas Wirtschaft in diesem Jahr wachsen, verkündete der Premier am Donnerstag in seinem Rechenschaftsbericht vor den knapp 3000 Delegierten in der Großen Halle des Volkes.

Der Weltwirtschaft fehle der Schwung, es gebe mehr Unsicherheiten, rechtfertigte Li das niedrigste Wachstumsziel der chinesischen Führung seit elf Jahren. „In diesem Jahr stehen wir möglicherweise vor noch größeren Schwierigkeiten als im Vorjahr“, sagte er. Dabei ist die chinesische Volkswirtschaft im vergangenen Jahr mit 7,4Prozent bereits so langsam gewachsen wie seit fast einem Vierteljahrhundert nicht.

Um die Wirtschaft anzukurbeln, kündigte Li an, dass die Regierung für das laufende Jahr die Investitionen in die Infrastruktur um weitere 20 Milliarden auf 477 Milliarden Yuan erhöhen werde (umgerechnet rund 68 Milliarden Euro). Vor allem den weiteren Ausbau von Autobahnen und Strecken für Hochgeschwindigkeitszüge will Peking fördern. Mit 16.000 Kilometern verfügt China bereits über das längste Streckennetz der Welt.

Genug Wachstum für Stabilität?

Kurzfristigen Konjunkturhilfen erteilte Premierminister Li hingegen eine Absage. Er versicherte, das Wachstumsziel berücksichtige, „was notwendig und was möglich ist“. Das jährliche Haushaltsdefizit soll nur geringfügig von 2,1 im vergangenen auf 2,3 Prozent der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr steigen. „Wir verfolgen eine vorsichtige und ausgewogene Geld- und Fiskalpolitik“, versprach der Premier.

Im vergangenen Jahr schwächelte vor allem Chinas Außenhandel. Er wuchs nur noch um 3,4Prozent und entsprach damit nicht einmal zur Hälfte den Erwartungen der Regierung. Trotzdem setzte der Regierungschef auch für dieses Jahr ein Ziel für den Anstieg der Ein- und Ausfuhren um jeweils „etwa sechs Prozent“. Angesichts der schwächeren Wachstumserwartungen sehen einige Kommentatoren bereits wirtschaftlich düstere Zeiten auf China zukommen. Der US-amerikanische Finanzexperte und Buchautor Gordon Chang warnt schon seit einiger Zeit vor einer „harten Landung“ und sieht sich nun bestätigt.

Tatsächlich stellt sich die Frage, wie es um ein Land bestellt ist, wenn seine Wirtschaft nur noch halb so stark wächst wie vor ein paar Jahren. Galten acht Prozent nicht vor Kurzem noch als Minimum, um den Arbeitsmarkt stabil zu halten?

Leistung um 790 Mrd. Dollar gesteigert

Danny Quah, Ökonomieprofessor an der London School of Economics, weist darauf hin, dass die chinesische Wirtschaft mit einer Wachstumsrate von 7,4Prozent im vergangenen Jahr sogar einen höheren Zuwachs erzielt hat als vor neun Jahren. Damals lag der Anstieg bei zwölf Prozent.

Quah betrachtet das tatsächlich erzielte Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die absolute Veränderung. 2005 lag das BIP bei 2,3 Billionen US-Dollar; das Plus von zwölf Prozent entsprach 274 Milliarden Dollar. Damals jubelte die ganze Welt über das sensationelle Wachstum. Bei einem Plus von sieben Prozent werde die Volksrepublik in diesem Jahr eine um 790 Milliarden Dollar höhere Wirtschaftsleistung erbringen als im Vorjahr. Das heißt: In absoluten Zahlen wird Chinas Wirtschaft 2015 fast drei Mal so stark anschwellen wie 2005. Wüchse Chinas Wirtschaft bei ihrer heutigen Größe um zwölf Prozent, käme es auf den Rohstoffmärkten weltweit zu gravierenden Engpässen.

Zehn Millionen neue Jobs im Jahr 2015

Viele Chinesen interessiert in diesem Zusammenhang aber vor allem eine Frage: Wird es der Regierung gelingen, auch weiterhin ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen? Knapp die Hälfte der Bevölkerung sind Bauern auf dem Land. Sie müssen sich aus den Erträgen des Ackers versorgen, den ihnen der Staat einst zugeteilt hat. Um auch ihnen zu Wohlstand zu verhelfen, will die Regierung produktivere Jobs in den Städten für sie bereitstellen. Dafür muss sie jedes Jahr zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Dieses Ziel scheint mit dem Wachstumsziel des Premierministers nicht gefährdet: Bei sieben Prozent Wachstum kommen rechnerisch auch 2015 zehn Millionen Jobs hinzu.

AUF EINEN BLICK

2015 wird die chinesische Wirtschaft um sieben Prozent wachsen, im Vorjahr wurde die Wirtschaftsleistung um 7,4Prozent gesteigert. Früher lag der Wert bei zwölf Prozent. Zuletzt betrug das Wachstum im Außenhandel nur 3,4Prozent, die Regierung will diesen Wert wieder auf sechs Prozent erhöhen. Der Premier möchte die Ökonomie mit Infrastrukturprojekten wie dem Bau von Autobahnen und Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken im Wert von insgesamt 68 Milliarden Euro ankurbeln. Das jährliche Budgetdefizit soll von zuletzt 2,1 auf 2,3 des Bruttoinlandsprodukts steigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2015)

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