Russische Unternehmer: Beim Begräbnis zum Protest

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Der Unmut russischer Unternehmer über die Rezession infolge der Ukraine-Krise wächst. Laut äußert ihn freilich kaum jemand. Leise sagten sie es dieser Tage auf dem Friedhof.

Wien. Die Teilnahme an einem Begräbnis muss nicht gleich ein politisches Statement sein. Aber im Russland des Jahres 2015 kann es leicht als solches gelten. Zumindest braucht es für exponierte Persönlichkeiten doch Mut, einem Oppositionspolitiker wie dem am Wochenende mitten in Moskau erschossenen Boris Nemzow die letzte Ehre zu erweisen.

Während das politische Establishment fast ausnahmslos durch Abwesenheit glänzte, gesellten sich immerhin einige aus der Geschäftswelt zum Trauerzug tausender Russen. Und zwar durchaus nicht die Unbedeutendsten. Der 51-jährige Chef der größten russischen Bank Sberbank etwa, der bei Kremlchef Wladimir Putin aufgrund ihrer langen Bekanntschaft ungehindert aus- und eingeht und dennoch Freidenker geblieben ist. Dazu der 49-jährige Michail Prochorow, der einst nur durch Partys, später als gemäßigter Oppositionspolitiker auffiel und heute nur mehr als Unternehmer aktiv ist und laut Forbes 9,7 Mrd. Dollar besitzt. Auch Pjotr Aven war gekommen, milliardenschwerer Bankbesitzer und Kunstsammler, der zur Zeit der Wende mehrere Jahre im österreichischen Laxenburg geforscht hatte. Weiters der 60-jährige Milliardär Sergej Petrow, Gründer des größten russischen Autoimportkonzerns, und der oberste Unternehmervertreter Alexandr Schochin. Schließlich – zur Überraschung einiger – sogar der zweitreichste Russe, Michail Fridman, der soeben die deutsche RWE-Ölfördertochter Dea für 5,1 Mrd. Euro kauft und dabei von Großbritannien blockiert wird.

Die Rezession vor Augen

Mindestens eineinhalb Jahrzehnte hat sich Fridman von der Politik ferngehalten und auf das Geschäft beschränkt. Das hinderte den jetzt 50-Jährigen freilich nicht, mit Nemzow auch befreundet zu bleiben, als dieser nach seiner Regierungsbeteiligung in den 1990er-Jahren zu einem der konsequentesten Opponenten Putins wurde.

Auch andere unterhielten freundschaftliche Bande mit Oppositionellen, ohne dies öffentlich zu zeigen, was im russischen Staatskapitalismus dem Geschäft ohnehin nicht zuträglich wäre. Der Gang zum Begräbnis ist daher auf weite Strecken Ausdruck der persönlichen Anteilnahme. Sie ist aber auch Ausdruck eines wachsenden Unmuts über die Auswirkungen des politischen Kurses einer entfesselten und imperialistisch gesinnten Beamtenschaft, der längst zu einer Stagnation und nun im Verein mit dem Ölpreisverfall zu einer Rezession geführt hat, die sich jüngsten Prognosen zufolge im zweiten Halbjahr erst so richtig entfalten wird. „Die Begräbnisteilnehmer zeigen, dass sie nicht zufrieden sind und dass auch die Ukraine-Politik dem Geschäft mehr und mehr schadet“, erklärt Auto-Tycoon Petrow, der als einer von vier Parlamentsabgeordneten im Vorjahr nicht für die Krim-Annexion gestimmt hat, im Gespräch mit der „Presse“: „Wir wissen nicht, wohin sich das Land bewegt.“

Die Angst vor dem Clan

Das offizielle Russland blickt mit Argusaugen auf etwaige Dissidenten. In Wirklichkeit hat sich daher auch noch kaum jemand von den Wirtschaftstreibenden seit Beginn der Ukraine-Krise zu einem lauten Protest durchgerungen. Einzig Sberbank-Chef Gref hat im Oktober einmal vom Leder gezogen, hat die Führung des Staates mit den in Wirtschaftsfragen ahnungslosen Sowjetdiktatoren verglichen, die den Staat an die Wand gefahren hätten, und unverblümt festgehalten, dass wegen des neuen westfeindlichen Hurrapatriotismusses ohnehin alle Unternehmer ausreisen wollen. Gestern legte Ex-Finanzminister Alexej Kudrin, der ebenso zu Nemzows Begräbnis gekommen war, nach, indem er einem Abgeordneten, der Coca-Cola und McDonald's den Abzug aus dem Land angeraten hatte, vorrechnete, wie viele tausend Russen die beiden Konzerne beschäftigen.

Die Schar der lauten Dissidenten ist freilich gering. Dabei würden die meisten Unternehmer ähnlich denken wie Jana Jakowlewa, einst über sieben Monate unschuldig inhaftierte Unternehmerin und später Gründerin der Hilfsorganisation „Businesssolidarität“, auf Anfrage erklärt: „Aber sie reden nicht gern darüber, weil sie Unannehmlichkeiten fürchten.“

In der Tat könne auch die Teilnahme an Nemzows Begräbnis gefährlich sein für das eigene Geschäft, so Petrow: „Aber nicht nur wegen Putin, sondern wegen eines ganzen Clans von Bürokraten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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