Der deutsche Politiker Oswald Metzger über den Reformstau in der „saturierten Gesellschaft“. Und warum er ständig Parteien wechselte – seinen Überzeugungen aber treu blieb.
Die Presse: Sie sagen, dass über der österreichischen und deutschen Reformpolitik der gleiche graue Schleier hänge. Was meinen Sie damit?
Oswald Metzger: Österreich hatte vor eineinhalb Jahrzehnten eine wettbewerbsfähige Phase nach einer Reihe von strukturellen Reformen. Jetzt regiert in Österreich schon lang eine Große Koalition und Große Koalitionen sind reformträge, um nicht zu sagen: Sie drehen die Reformen der Vorgängerregierungen zurück. Ich glaube, dass Österreich und Deutschland im gleichen Dilemma stecken.
Das heißt: Deutschland und Österreich ruhen sich auf den vergangenen Errungenschaften aus?
Wir neigen dazu, bequem zu werden, wenn es uns gut geht. Aber wettbewerbsfähig zu sein ist immer eine Momentaufnahme und kein Status, den man für immer erreicht hat. Ich war acht Jahre Abgeordneter im Deutschen Bundestag, davon vier Jahre in der ersten rot-grünen Regierungszeit unter Kanzler Gerhard Schröder. Ausgerechnet ein sozialdemokratischer Kanzler hat vor zwölf Jahren eine Reformagenda (Agenda 2010) aufgesetzt, die der Bundesrepublik einen unglaublichen Wettbewerbsschub gab, von dem eigentlich erst die nachfolgenden Regierungen richtig profitiert haben. Grund dieses Reformelans war, dass wir verriegelte Arbeitsmärkte hatten, dass unsere Sozialsysteme nicht demografiefest waren. Was macht die jetzige Große Koalition? Sie senkt das Renteneintrittsalter. Sie sorgt für neue soziale Leistungen wie die Mütterrente und gibt damit das Geld mit vollen Händen aus, das wir trotz unserer Wirtschaftskraft nicht haben. Spätestens ab 2017 gehen jedes Jahr mehr Menschen in den Ruhestand, als junge Menschen in den Arbeitsmarkt nachrücken. Das gleiche demografische Problem hat Österreich.
In Deutschland wurde 2014 ein Überschuss von 18 Milliarden Euro produziert.
Das hat eine ganz einfache Ursache. Wir zahlen im Jahr 42 Milliarden Euro weniger an Zinsen durch die Nullzinspolitik der EZB. Hätten wir das Zinsniveau von vor sechs Jahren, hätte Deutschland auch keinen Haushaltsüberschuss.
Es ist angekündigt worden, dass der Überschuss auch gleich wieder investiert werden soll. Dafür wird darüber nachgedacht, ob der Solidaritätszuschlag für den Osten abgeschafft werden soll.
Beim Solidaritätszuschlag werden sich alle – die politische Linke, Gewerkschaften, Bundesländer – gegen die Abschaffung wehren. Den Wählern wurde die Abschaffung versprochen, sobald der Anpassungsprozess der Wiedervereinigung abgeschlossen ist. Der ist abgeschlossen, und man könnte den Steuerpflichtigen die 5,5 Prozent Zuschlag zurückgeben. Das sind im Moment 18 Milliarden Euro, das ist eine Menge Holz.
Sie sind 2007 von den Grünen ausgetreten, als die Partei für das bedingungslose Grundeinkommen plädiert hat. Nun wurde in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn beschlossen. Ein Hemmnis für die Wettbewerbsfähigkeit?
Der Staat hat nichts in der Lohnfindung zu suchen, sonst brauchten wir überhaupt keine Gewerkschaften mehr. Wir haben jetzt Friseure, die ihre Mitarbeiter entlassen, weil der Kunde nicht bereit ist, 13 Euro für den Haarschnitt zu bezahlen statt bisher acht Euro. Und was machen die Entlassenen? Sie gehen schwarzarbeiten. Ist da für den Staat irgendetwas gewonnen? Nein.
Sie waren in insgesamt drei Parteien, zuerst sind Sie in die SPD eingetreten.
Damals war Willy Brandt Kanzler, und ich bin als junger Schüler von ihm fasziniert gewesen. Schon 1979 bin ich wegen der Engstirnigkeit, die Parteien prägt, wieder ausgetreten: Du musst immer das sagen, was deine Partei sagt, du musst die Partei immer verteidigen. Erst sieben Jahre später wurde ich dann Mitglied bei den Grünen. Dort habe ich bei einer Reihe von Themen stärkeren Reformmut angemahnt oder mich gegen neue soziale Wohltaten ausgesprochen. Sie können nicht immer neue Schecks im Volk verteilen und diese mit neuen Krediten finanzieren.
Die Grünen haben Ihre Aussage, dass der Lebenssinn von Sozialhilfeempfängern oft darin bestehe, „Kohlenhydrate oder Alkohol in sich hineinzustopfen“, scharf kritisiert.
Das war kurz vor dem Parteitag 2007, das brachte das Fass zum Überlaufen. Das war eher für die Partei der Aufreger, mich hat aufgeregt, als mein Landesverband in Baden-Württemberg das bedingungslose Grundeinkommen auf dem Parteitag beschlossen hat. Jeder soll vom Staat Geld bekommen, ob er etwas tut oder nicht, ob er bedürftig ist oder nicht. Das Geld, das der Staat verteilt, muss ja erst durch Steuern und Abgaben erwirtschaftet werden, und Steuern und Abgaben zahlen nur die, die arbeiten. Wenn ich den Leuten nicht mehr klarmache, dass sich Anstrengung lohnt, dann werden sie bequem und träge. Das gilt für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, für jeden Einzelnen.
Aber ist der Teil der Bevölkerung, der wissentlich und willkürlich diesem Leistungsgedanken nicht zustimmt und die Arbeit verweigert, nicht ohnehin verschwindend gering?
Ich glaube, dass dieser Anteil in allen saturierten Gesellschaften gewachsen ist. Der Grundgedanke, dass vor dem Verteilen das Verdienen kommt, geht verloren. Wir haben immer mehr Menschen in Deutschland, die von Transfereinkommen und nicht mehr von Arbeitseinkommen leben. Da spielt die Alterung der Gesellschaft eine Rolle, aber es gibt auch genügend Hartz-IV-Empfänger. Mit dem positiven Leistungsprinzip ist aber auch der Gutsituierte mitgemeint. Er soll sich nicht auf die Erbmasse stürzen, sondern selbst etwas tun. Ich würde deshalb lieber Erbschaften und Vermögen angreifen und dafür das Arbeitseinkommen und Unternehmensgewinne deutlich niedriger besteuern.
Sie haben einmal gesagt: „Die Grünen sind pragmatisch bis zum Exzess.“ Sind Sie aber nicht auch ein pragmatischer Mensch, zumal sie dreimal die Partei gewechselt haben?
Ich habe zwar die Parteien gewechselt, aber nicht meine Überzeugung. Als ich studiert habe, war ich selbstständig, um mein Studium zu finanzieren. Da habe ich ganz schnell gelernt, was es heißt, ein unternehmerisches Risiko zu tragen. Bei meinem Eintritt bei den Grünen hatte ich bereits meine marktwirtschaftliche Einstellung. Ich bin in die CDU eingetreten und vertrete die gleichen marktwirtschaftlichen Positionen, die ich bei den Grünen auch vertreten habe. Und stelle fest, dass die CDU nach links marschiert und sozialdemokratischer ist, als ich von außen dachte. Sie beschließt den gesetzlichen Mindestlohn, neue Rentenleistungen, beschließt eine Reduzierung des Renteneintrittsalters. Wenn Parteien in der Regierung sind, werden sie meist ganz schnell opportunistisch.
ZUR PERSON
Oswald Metzger, Jahrgang 1954, leitet den Konvent für Deutschland, der unter anderem für erweiterte demokratische Teilhabe der Bürger wirbt. Parteipolitisch hat Metzger eine bunte Laufbahn vorzuweisen: Er war Mitglied der SPD, ehe er zu den Grünen wechselte. Dort blieb er 21 Jahre lang. Im April 2008 wechselte er zur CDU, weil die Grünen für das bedingungslose Grundeinkommen plädiert hatten.
Nach eigener Aussage hat sich Metzger als Berufspolitiker „stets für die Grundprinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung eingesetzt: Freiheit, Wettbewerb und Subsidiarität“. Er sei also seinen Überzeugungen immer treu geblieben. Oswald Metzger wird im von Academia Superior organisierten Symposium in Gmunden (13. bis 15. März) vortragen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)