Baltikum: Kein Geld für Paläste und Laternen

(c) AP (John McConnico)
  • Drucken

Nach dem Boom auf Pump heißt es nun mitten in der Krise eisern sparen. Das estnische Tallinn dreht in der Nacht die Straßen-Beleuchtung ab, um Geld zu sparen.

Riga. Die Könige und Präsidenten müssen wieder ausgeladen werden. Am 6. Juli sollte im Beisein von internationalen Zelebritäten der aus Ruinen wiedererstandene Palast von Vilnius eingeweiht werden – als Höhepunkt der Feiern zum 1000. Geburtstag Litauens.

Doch nun will die Regierung die sechs Mio. Euro nicht bereitstellen, die der letzte Schliff am imposanten Bauwerk kosten würde. „Das Geld könnte man schon auftreiben“, sagt Premier Andrius Kubilius, „aber wir müssen an die Signalwirkung denken.“ Der Aufputz eines Palastes macht sich schlecht, wenn das Budget gerade mit brutalen Sparmaßnahmen saniert werden muss.

Nicht nur in Litauen: Das estnische Tallinn dreht in der Nacht die Straßenbeleuchtung ab, um Geld zu sparen. Im lettischen Riga gehen die Mittel für die Arbeitslosenunterstützung aus. Das Kindergeld wird gestrichen, das Gehalt der Beamten um ein Drittel gekürzt. Der Internationale Währungsfonds hat für Lettland ein Kreditpaket von 7,5 Milliarden Euro geschnürt. Das sind 35 Prozent des Sozialprodukts – die umfangreichste Hilfe, die der IWF je gewährte, verbunden mit den bisher strengsten Auflagen.

Hartes Diktat des IWF

Alle drei baltischen Staaten sind hoch geflogen und tief gefallen. Sie trumpften nach ihrem EU-Beitritt 2004 mit zweistelligem Wachstum auf. Doch der Aufschwung wurde durch kreditfinanzierten Konsum und eine Immobilienblase angeheizt. Jetzt geht es, wieder zweistellig, bergab. Um bis zu 15 Prozent wird die Wirtschaft Lettlands heuer schrumpfen, um zehn jene Litauens. Das estnische BIP lag schon im vierten Quartal 2008 um zehn Prozent unter dem Vorjahr. Das sind die schlimmsten Zahlen seit den frühen 90er-Jahren, als sich die Balten nach dem Ausbruch aus der Sowjetunion neu orientieren mussten.

Noch 2007 träumte Estlands Premier Andrus Ansip davon, dass sein Land „in fünf Jahren zu den fünf reichsten der EU“ zählen werde. In Lettland wurden die Steuereinnahmen der guten Jahre in Prestigeprojekten verschleudert.

Das rächt sich jetzt: Mitten in einer Rezession stehen die Letten vor dem härtesten Sparprogramm im EU-Raum. Der IWF verlangt, das Budget um ein Viertel zu kürzen, um das Defizit auf unter fünf Prozent des BIP zu drücken. Das würde unvermeidlich zu neuen sozialen Spannungen führen. Jetzt wird mit den IWF-Delegierten über einen erweiterten Schuldenrahmen verhandelt. Doch wenn die internationalen Geldgeber die Kredite streichen, ist der Staat noch vor dem Sommer bankrott.

Estland, wo Neuverschuldung gesetzlich verboten ist, hat mehr Reserven als der Nachbar. Die Regierung will die Krise dazu nutzen, schon Mitte 2010 den Euro einzuführen, ein halbes Jahr früher als geplant. Schließlich ist die Inflation in allen baltischen Staaten stark zurückgegangen.

In Lettland ging der Einzelhandel zuletzt um 20 Prozent zurück, stärker als irgendwo sonst in der EU. Der Neuwagenverkauf brach im baltischen Schnitt um zwei Drittel ein. In Litauen hat eine Großbank ein Flugfeld gemietet, um all die Luxusautos parken zu können, deren Käufer die Zahlungen nicht mehr leisten können.

Am Stadtrand von Riga steht das traurige Wahrzeichen der geänderten Zeiten: die mit vier Hochhäusern konzipierte „Panorama Plaza“ mit Wohnungen, Büros und Boutiquen. Wie schwer es ist, sie zu vermieten, zeigen die vielen dunklen Fenster in den beiden fertigen Türmen. Der dritte ist eine halb fertige Ruine. Vom vierten war erst der Grundstein gelegt, als der Bauherr pleiteging.

Auf einen Blick

Lettland, Estland und Litauen leiden schwer unter der Krise. Besonders hart trifft es Lettland, das nur ein IWF-Kredit vor dem Bankrott bewahren kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.