Geheim, heikel, wichtig: Das Konglomerat der TTIP-Ängste

Demonstration von Gegnern des Wirtschaftsabkommens
Demonstration von Gegnern des Wirtschaftsabkommensimago/Kai Horstmann
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Das transatlantische Freihandelsabkommen bietet seit jeher Stoff für zahlreiche Mythen. Die Skepsis in der europäischen Bevölkerung ist groß – besonders unter Österreichern. Ein Abschluss der Gespräche liegt in weiter Ferne.

Die Atmosphäre war eisig – damals, im Juli 2013. Als die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen in die erste Runde gingen, überschattete Misstrauen den Gesprächsauftakt in Washington. Die gerade aufgedeckte NSA-Spähaffäre hatte die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa gehörig belastet: Diesseits des Atlantiks wurde gar der Ruf nach einem Verhandlungsstopp laut.

»Ist TTIP eine Gefahr?«

So weit kam es bekanntermaßen nicht; und die Emotionen um die Aktivitäten des US-Geheimdiensts haben sich beruhigt. Dennoch liegt ein positiver Abschluss der Gespräche in weiter Ferne. Während Befürworter der geplanten Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) Wirtschaftswachstum und die Schaffung von hunderttausenden Arbeitsplätzen ins Treffen führen, warnen Gegner vor Chlorhühnern und dem drohenden Einfluss von Wirtschaftslobbyisten auf EU-Gesetze im Rahmen der regulatorischen Kooperation. In der europäischen Bevölkerung – und insbesondere in Österreich – ist die Skepsis groß. Was steckt hinter den Mythen um TTIP?

Die Kommission will uns das Abkommen aufdrängen

Anonyme Beamte der EU-Kommission verhandeln gegen unseren Willen ein weitreichendes Abkommen mit den USA, das Standards im Lebensmittel- und Umweltbereich unterminiert: So lauten die Vorwürfe vieler TTIP-Gegner. Richtig ist, dass Mitarbeiter der Brüsseler Behörde im Namen der Union am Verhandlungstisch sitzen – allerdings auf Geheiß der Mitgliedstaaten. Diese haben der Institution einstimmig das Mandat erteilt, das Freihandelsabkommen mit Washington auszuhandeln. Auch die österreichische Regierung hat zugestimmt – was angesichts der kritischen Haltung von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) heute bisweilen nur noch schwer vorstellbar ist. Faymann kritisiert insbesondere die geplanten Sonderschiedsgerichte, da diese zwischen entwickelten Rechtssystemen nicht notwendig seien. (ISDS siehe Artikel rechts).

Die Gespräche laufen unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Dass bei der Informationspolitik in Sachen TTIP mehr als nur ein Fehler passiert ist, gestehen mittlerweile selbst passionierte Befürworter des geplanten Pakts ein. Auch Handelskommissarin Cecilia Malmström bezeichnete die Geheimniskrämerei zu Beginn der Verhandlungen bei einem Wien-Besuch im Jänner als problematisch. Die Hauptschuld daran trägt ihr Vorgänger Karel de Gucht: Auf kritische Journalistenfragen hat der Belgier meist enerviert reagiert, eine etwas transparentere Verhandlungsführung hat er kategorisch abgelehnt. Selbst im EU-Parlament haben bis heute nur jene Abgeordneten Einsicht in wichtige Verhandlungsdokumente, die sich als Mitglieder im Handelsausschuss unmittelbar damit beschäftigen – und das nur in einem speziellen Leseraum, wo keine Kopien angefertigt werden können.

Malmström gelobt nun Besserung; zu Beginn des Jahres wurden bereits mehrere Positionspapiere im Internet zugänglich gemacht. Kritiker bemängeln jedoch, dass es sich hierbei lediglich um Dokumente von „geringer Bedeutung“ handle. Auch die europäische Ombudsfrau, Emily O'Reilly – ihre Aufgabe ist es, Missstände bei den EU-Institutionen aufzudecken –, hat sich den Kampf für mehr Transparenz bei TTIP an die Fahnen geheftet.

Tiroler Bergkäse kommtkünftig aus Missouri

Einer der heikelsten Punkte bei den Verhandlungen zum EU-US-Freihandelsabkommen sind die geschützten Herkunftsbezeichnungen im Lebensmittelbereich, derer es in der EU drei gibt: Die Ursprungsbezeichnung (gU) gilt ausschließlich für Produkte, die zur Gänze aus einer bestimmten Region stammen. Dagegen bedeutet die geschützte geografische Angabe (ggA) lediglich, dass das Produkt in einer Region produziert werden muss, die Zutaten aber von anderswo kommen können. Garantiert traditionelle Spezialitäten (wie Mozzarella) können überall hergestellt werden, dies jedoch nach einem vorgegebenen Verfahren.

Die US-Seite lehnt die Herkunftsbezeichnungen grundsätzlich ab, während die EU sie schützen will: Dies sei eine der „Prioritäten“ von europäischer Seite, hat ein Sprecher der Kommission jüngst versichert. In Österreich gibt es derzeit 14 geschützte Lebensmittel, darunter die Wachauer Marille (gU), den Tiroler Bergkäse (gU) und das steirische Kürbiskernöl (ggA). Kritiker betonen, dass es bei der Kennzeichnung schon heute Missstände gebe: So hätten Untersuchungen zum steirischen Kernöl ergeben, dass weniger als die Hälfte von 30 untersuchten Ölen aus Österreich kamen, mehrere Produkte aber aus Russland oder China. TTIP, so die Befürchtung, könnte zu einer Vergrößerung dieser Probleme beitragen.

Bei den Verhandlungen haben nur Lobbyisten das Sagen

Diese Sorge ist mit dem Unbehagen über die Intransparenz bei den TTIP-Verhandlungen aufs Engste verbunden – denn wo die Einsicht fehlt, lassen sich leicht Verdächtigungen aussprechen. Unbestritten ist jedenfalls, dass die europäischen Industrieverbände großes Interesse an einem positiven Abschluss der Gespräche haben. Ebenfalls unbestritten ist, dass die Verhandler der EU-Kommission auf die Expertise der Unternehmen zurückgreifen. Diese angebliche „Verhaberung“ im schallgedämpften Hinterzimmer hat allerdings einen prosaischen Grund: In den allermeisten Fällen wissen die Kommissionsbeamten nicht, welche konkreten Hürden den europäischen Exporteuren Probleme bereiten. Während also die Unternehmensvertreter mit konkreten Anliegen in Brüssel vorstellig werden, sind die Einwände der NGOs oft genereller Natur – und zielen darauf ab, etwas zu verhindern, während die Firmenlobbyisten eine offensive Agenda verfolgen. Konsequenz dieser unterschiedlichen Interessenslage ist die Wahrnehmung, nur die Wirtschaft würde Gehör finden – eine Wahrnehmung, die von der Kommission vehement bestritten wird. „Die Tür zum Büro von Handelskommissarin Malmström steht für jeden offen“, sagt ein Beamter. Neben direkten Gesprächen mit Interessensvertretern werden die TTIP-Verhandler von einem 16-köpfigen Expertengremium beraten, das paritätisch mit Vertretern von Wirtschaft und NGOs besetzt ist und dem unter anderem Vertreter der Deutschen Industrie- und Handelskammer DIHK und des europäischen Konsumentenverbands BEUC angehören.

Unglücklich und gechlort: Das Schicksal der Hühner

Ihren strukturellen Nachteil können NGOs wettmachen, indem sie Themen emotional aufladen und so für die Bürger sichtbar machen. Ein Meisterstück in dieser Hinsicht ist das berühmt-berüchtigte Chlorhuhn, mit dem Stimmung gegen die angeblich schlechteren amerikanischen Lebensmittelstandards gemacht wurde. In der Tat wird in den USA Geflügel als Ganzes mit Chlor gereinigt – anders als in der EU, wo der Einsatz von Chlordioxid zur Desinfektion nicht gestattet ist – obwohl europäische Lebensmittelexperten die in den USA übliche Methode für gesundheitlich unbedenklich halten. Nichtsdestotrotz ist die Einfuhr von gechlorten Geflügelteilen in die EU seit 1997 verboten. Die EU-Kommission hat wiederholt betont, dass TTIP keine Aufweichung der Sicherheitsstandards mit sich bringen werde – das Chlorhuhn könnte aber trotzdem in Europa Einzug halten, und zwar über den Umweg Genf, wo die Welthandelsorganisation ihren Sitz hat. Die USA haben nämlich die EU 2009 vor dem WTO-Schiedsgericht geklagt, weil Brüssel sein Einfuhrverbot nicht wissenschaftlich belegen könne.

Konzerne können unliebsame Gesetze verhindern

Neben Schutzklauseln für Investoren gilt die sogenannte regulatorische Zusammenarbeit als Bedrohung für die europäische Demokratie. Teil des verhandelten Pakets ist ein Gremium namens Regulatory Cooperation Council (RCC), dessen Aufgabe es ist, Gesetzesvorschläge auf beiden Seiten des Atlantiks noch vor Beschluss auf deren Kompatibilität mit TTIP zu prüfen – und gegebenenfalls Alarm zu schlagen. Die Befürchtung der Kritiker, zu denen in Österreich unter anderem die Grünen sowie Bundeskanzler Werner Faymann zählen: Unternehmensvertreter können im RCC unliebsame Gesetze verhindern, bevor diese überhaupt den nationalen Parlamenten zur Debatte vorgelegt werden, weil man sie in einem Anflug vorauseilenden Gehorsams zurückziehen würde – was die Brüsseler Behörde naturgemäß vehement bestreitet. Das große Problem bei der Angelegenheit ist nur, dass hier über Momentaufnahmen debattiert wird – was das Kapitel Regulatorische Zusammenarbeit enthält, wird sich nämlich erst dann abschließend beurteilen lassen, wenn das Verhandlungsergebnis auch tatsächlich vorliegt – und dies wird nicht vor Jahresende der Fall sein.

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